Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
gegen die neue Sicherheit. Und alles war auf einmal viel besser.
Viel Zuspruch erhielt Hobbes für seine beiden Bücher nicht. Die meisten seiner Kritiker vermissten in der Geschichte vom Naturzustand den lieben Gott. König Karl II. maulte, weil Hobbes die Katholiken nicht gegenüber den Protestanten bevorzugte. Herrscher war für Hobbes eben Herrscher, egal welcher Konfession. In den Zeiten eines erbittert geführten Religionskriegs galt Unparteilichkeit auf beiden Seiten als Verrat. Das Gute hatte entweder katholisch oder protestantisch zu sein. Eine Vollmacht auf Basis eines frei erfundenen Vertrages dagegen war viel zu neutral und inhaltlich zu dürftig.
Dass sein Modell vom Naturzustand vermutlich nicht historisch korrekt war, wusste Hobbes auch. Worum es ihm ging, war, zu zeigen, dass es grundsätzlich vernünftig ist, wenn ein strenger Herrscher über ein Volk regiert. So gesehen kam er mit dem König genauso gut zurecht wie mit dessen protestantischem Gegenspieler Oliver Cromwell. Religion interessierte Hobbes überhaupt nicht. Gerade deswegen aber geriet er wiederholt ins Visier
religiöser Eiferer und fürchtete mehrfach um sein Leben. Dass er schließlich auch noch die lange geplanten Bücher zur »Biologie« und zur »Soziologie« des Menschen veröffentlichte, machte die Situation nicht besser. Gerade die Anatomie des Menschen galt vielen Klerikern als Geheimnis Gottes, das der Mensch nicht enthüllen dürfe. Gleichwohl erreichte Hobbes das biblische Alter von neunzig Jahren und starb 1679 als wohlhabender und geachteter Mann.
Das Wort vom »Krieg aller gegen alle« und mehr noch der Satz »Der Mensch ist des Menschen Wolf« machten Hobbes zum viel zitierten Stichwortgeber dafür, dass der Mensch von Natur aus schlecht sei. Aber hatte er das wirklich sagen wollen?
Nun, zunächst einmal muss man feststellen, dass der Spruch Homo homini lupus gar nicht von Hobbes stammt, sondern von dem römischen Komödiendichter Plautus. Hobbes zitiert den Satz in der Widmung von De Cive, um zu erklären, warum die Staaten sich untereinander bekämpfen. Tatsächlich war Hobbes der Ansicht, dass Platons Idee des Guten nicht viel taugte. Als nüchterner Pragmatiker konnte er mit einer solchen Spekulation nichts anfangen. Eine von Gott oder von der Natur vorgegebene sittliche Ordnung hielt Hobbes für blanken Unsinn. Gut und Böse schwebten nicht im Himmel, sondern sie waren sehr subjektive Interpretationen unseres Verhaltens: Jedermann nenne »das, was ihm gefällt und Vergnügen bereitet, gut, und das, was ihm missfällt, schlecht«. Und weil das so ist, ist der Mensch auch für Hobbes »von Natur aus« gar nichts, also weder gut noch schlecht. Der Mensch ist also nicht deshalb den anderen ein Wolf, weil er böse ist. Die vermeintliche Schlechtigkeit entsteht nur aus dem Widerstreit der Interessen. 3 Wenn die Ressourcen im Naturzustand knapp sind, gerät der Selbsterhaltungstrieb des einen Menschen mit dem Selbsterhaltungstrieb eines anderen Menschen in Konflikt. Und es wird zwangsläufig übel. Nicht anders verhielten und verhalten sich die Staaten untereinander.
Von Natur aus, meinte Hobbes, ist der Mensch ein unbeschriebenes
Blatt. Erst die Erziehung, die Lebensumstände und Einflüsse treiben ihn in die eine oder andere Richtung. Dass der Mensch seiner Gesinnung nach ein böser Wolf sei, hatte Hobbes gar nicht behaupten wollen. Es beleidigt übrigens die Wölfe, die ausgesprochen soziale Tiere sind und ihr Zusammenleben im Rudel sehr präzise aufeinander abstimmen.
Um einen strengen Herrscher in einem absolutistischen Staat zu fordern, braucht man kein schlechtes Menschenbild. Es reicht völlig aus, zu zeigen, dass ein Staat ohne Herrschaft und Organisation in eine fürchterliche Anarchie führt. Und nichts anderes war Hobbes’ Absicht. Wer mit seiner Hilfe beweisen will, dass der Mensch von Natur aus moralisch schlecht sei, ist an der falschen Adresse.
Aber gibt es nicht noch andere kluge Kronzeugen? Geeigneter für diese Rolle, so scheint es, ist Hobbes’ Landsmann Thomas Henry Huxley. Er war gelernter Arzt, ein Naturforscher von Rang, und als kämpferischer Mitstreiter des großen Charles Darwin verdiente er sich den Spitznamen, dessen »Bulldogge« zu sein. Mit unseren Vorfahren, mit Affen, ja mit Tieren überhaupt, kannte Huxley sich besser aus als Hobbes. Wie Darwin, so war auch er überzeugt davon, dass unser Verhalten tief im Tierreich wurzelte. Wo Hobbes einen künstlichen »Naturzustand« erfand,
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