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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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dann, wenn wir nicht selbst betroffen sind, weil wir wissen, dass es allgemein in unserem persönlichen Interesse ist, wenn die Gemeinschaft, in der wir leben, intakt ist. Unser Gehirn aktiviert sogar unser Belohnungszentrum im mesolimbischen System, wenn wir sehen, wie andere Menschen für ihre Unfairness bestraft werden. 7

    Die enorme Verlässlichkeit unseres Gefühls für Unfairness beschäftigt heute nicht nur Philosophen und Verhaltensforscher, sondern vor allem eine ganz andere Zunft - die Wirtschaftspsychologie. Im Jahr 1978 erfand der Kölner Wirtschaftswissenschaftler Werner Güth, heute Professor am Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena, gemeinsam mit seinen Kollegen Rolf Schmittberger und Bernd Schwarze eine berühmte Versuchsanordnung: das Ultimatumspiel 8 : Der Versuchsleiter überreicht einem Studenten eine Summe Geld. Der Betrag ist so hoch, dass er für den Studenten einen Wert darstellt, aber keinen überragenden Wert. Ein geeigneter Betrag wäre zum Beispiel fünfzig Euro. Der Student darf dieses Geld behalten, aber er muss es mit einem ihm unbekannten anderen Studenten teilen. Wie er den Betrag splittet, ist seine Sache. Er kann dem anderen so viel oder wenig abgeben, wie er für richtig hält. Der Haken an der Sache aber ist der: Er muss dem anderen sagen, wie viel Geld er insgesamt hat. Und er darf dem anderen nur ein einziges Teilungsangebot machen. Beide wissen zudem, dass der gesamte Betrag an den Versuchsleiter zurückfällt, wenn man sich beim ersten und einzigen Angebot nicht einig wird!
    Die Situation ist vertrackt. Der Student könnte nur einen kleinen Betrag für den anderen anbieten, etwa mit dem Argument: »Zehn Euro für dich ist besser als gar nichts.« Aber das Risiko, das er eingeht, ist sehr hoch. Was wird der andere über mich denken, wenn ich ihm so wenig abgebe? Denkt er nicht vielleicht: »Ich lass mich doch nicht verar…? Dann verzichte ich doch lieber auf die lumpigen zehn Euro, bevor du dich derart auf meine Kosten bereicherst!«
    Das Ultimatumspiel ist heute ein Klassiker der Wirtschaftspsychologie. Ungezählte Versuchsleiter haben es inzwischen mit Studenten und anderen Versuchsteilnehmern durchgespielt. Und was ist das Ergebnis? Der am häufigsten gemachte Teilungsvorschlag lautet: »fünfzig zu fünfzig«! Aus Angst und Rücksicht vor dem Gefühl der Unfairness bei meinem Gegenüber biete ich im
Zweifelsfall die Hälfte an. 9 Denn bei unserem Austausch und Handel mit anderen müssen wir das Gefühl für Unfairness bei unserem Gegenüber berücksichtigen.
    Für die Erforschung unserer sozialen Natur noch wichtiger ist eine Variante des Spiels, das sogenannte Diktatorspiel. 10 Im Unterschied zum Ultimatumspiel darf der andere Spieler mein Teilungsangebot nicht ablehnen. Die Studenten, die das Geld vom Versuchsleiter bekommen - die »Diktatoren« -, gehen nun kein Risiko ein. Geben sie ihrem Gegenüber nun den kleinstmöglichen Betrag? Mitnichten! In allen bisher bekannten Versuchsreihen blieb der Betrag für den Mitspieler im Schnitt zwar etwas unter der Hälfte, aber er war dennoch bemerkenswert hoch. Das Gefühl für Fairness und der Wunsch, nicht als ein unfairer Mensch dazustehen, scheinen - zumindest in unserer westlichen Kultur - tief internalisiert zu sein.
     
    Lebewesen, die Absichten haben, die ihnen bewusst sind, und die Absichten bei anderen erkennen können, hegen soziale Erwartungen. Besonders intelligente Tiere, wie Kapuzineraffen, Menschenaffen und Menschen, haben Ansprüche, wie man sie behandeln soll und wie nicht. Ein wichtiger Anspruch ist das Bedürfnis, nicht unfair behandelt zu werden. Diese Erwartungshaltung ist die Grundlage des menschlichen Anspruchs auf Gerechtigkeit. Als intuitives Bedürfnis ist es fest in der menschlichen Natur verankert.
     
    Unsere Fähigkeit zur Moral und unser Verständnis von Gerechtigkeit haben, wie gesehen, sehr alte Wurzeln. Sie sind keine Tünche der Zivilisation. Doch wie weit reicht unsere moralische Intuition? Bestimmen uns in der Moral tatsächlich nur diese urtümlichen Gefühle und nicht auch die Vernunft?
     
    • Gefühl gegen Vernunft. Wer trifft unsere Entscheidungen?

Gefühl gegen Vernunft
    Wer trifft unsere Entscheidungen?
    Als alles nichts mehr half, beschloss er, sein Buch eben selbst zu rezensieren. Als anonymer Verfasser wollte er auf seine Meisterleistung hinweisen. Aber auch daraus wurde nichts. Sein »Traktat über die menschliche Natur« war ein Flop. 1 Als »Totgeburt« fiel es »aus der

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