Die Lady mit dem Bogen
nicht einfach als unausweichlich hinnehmen. Nichts war unausweichlich, ehe es nicht geschah. Es gab vielleicht einen Weg, Mallorys Leben zu retten. Er hängte seine Laute wieder über die Schulter. Dann zog er das Pergament hervor und schlug damit gegen die andere Hand.
Wie hatte der Knappe von Mallorys Vater doch gleich geheißen? Dennis? Donald? Nein, Durand. Der Bursche strebte danach, ein Held zu sein. Saxon wollte ihm – und wie er hoffte auch Mallory – eine große Chance bieten.
kapitel 20
M allory zuckte zusammen, als sie ihren zerfetzten Ärmel über die Schulter zog. Sie wollte das, was in der lange herunterhängenden Stoffbahn verborgen war, im anderen Ärmel unterbringen, doch bestand die Gefahr, dass einer ihrer Bewacher wieder hereinzukommen versuchte und zufällig sah, was sie machte. Zwar bezweifelte sie, dass einer von ihnen wagen würde, sich hereinzuschleichen und sie sich gefügig zu machen, nicht nach ihrer Begegnung mit ihrem Anführer. Sie krümmte ihre Zehen, um sich zu vergewissern, dass sie sich auf dem harten Schädel dieses Scheusals nicht eine gebrochen hatte. Der Mann hatte geglaubt, sie wäre gewillt, ihn zu unterhalten, als Zeitvertreib, bis der König nach ihr schickte. Diese Meinung hatte sie ihm mit einem festen Tritt gegen den Kopf ausgetrieben, um dann den bewusstlos Daliegenden um ihren Dolch zu erleichtern, den er ihr zuvor abgenommen hatte.
Er war hinausgetorkelt und hatte geprahlt, sie hätte ihn so erschöpft, dass ihm schwindle. Sie hatte nicht darauf geachtet, wie er es schaffte, seinen Kameraden einzureden, sie sollten ihr Zelt meiden. Was immer er für Lügen verbreitet hatte, sie kamen ihren Absichten entgegen, da sich niemand mehr in ihr Zelt gewagt hatte. Ihre lauten Stimmen ließen vermuten, das sie sich den Wein zu Gemüte führten, den sie aus dem Zelt eines frischgebackenen Ritters entwendet hatten. Nun ließen sie sich laut lachend darüber aus, dass der Ritter wegen einer verlorenen Wette in ihrer Schuld stünde.
Sie sah, wie die Schatten länger wurden, als die Sonne im westlichen Meer versank. Ein Fluchtversuch bei Tageslicht wäre eine unverzeihliche Dummheit gewesen. Sie hatte es nicht geschafft, vor Tagesanbruch zu fliehen, und jetzt wurde ihr Zelt von vier Männern bewacht.
Sie bewegte ihre Füße, und dann rasch noch einmal, als eine Feder von einem der Pfeile in ihrem verborgenen Köcher sie ins Bein stach. Ihren Bogen hatte man ihr abgenommen, doch hatte man sie nicht nach dem Köcher durchsucht. Sie musste froh sein, dass die Männer ihr, einer Frau, nicht so viel Vernunft zutrauten, mehr als einen Pfeil mit sich zu führen.
Aber vielleicht hatten sie recht. Wenn sie Verstand gehabt hätte, hätte sie ihren Zorn nicht an Saxon ausgelassen. Jahrelang hatte sie ihren Zorn auf ihren Vater tief in ihrem Inneren verborgen. Warum hatte sie ihn nicht noch einmal im Zaum halten können?
Die Antwort war einfach: Sie konnte ihn nicht zügeln, weil sie Saxon ihr Herz geöffnet und zugelassen hatte, dass sie sich verliebte. Sie hatte geglaubt, ihre Fähigkeit zu lieben wäre mit ihrer Mutter gestorben. Indem sie dieser Liebe freien Lauf ließ, hatte sie den Deckel der Büchse der Pandora voll dunkler Gefühle nur ein wenig geöffnet, und dieser kleine Spalt hatte alles überlaufen lassen wie ein unbeaufsichtigter Kochtopf.
Und jetzt hatte sie auch noch den Untergang von St. Jude’s Abbey auf ihr Gewissen geladen. Immer wenn sie die Augen schloss, stellte sie sich vor, wie diese groben Männer die Gärten verwüsteten und alles Wertvolle stahlen, auch die Unschuld der Schwestern, die glaubten, der Königin und der Abtei durch harte Arbeit und edle Gesinnung dienen zu können. Das alles war nun zum Untergang verurteilt.
Sie hatte Fleurette d’Ambroise zur Abtei geschickt. Würde das Mädchen dort vor den Männern des Königs eintreffen, oder würde sie St. Jude’s Abbey schon in Schutt und Asche gelegt vorfinden?
Ihre Hände ballten sich auf den Knien zu Fäusten. Sie musste einen Weg finden, eine Warnung an das Kloster zu schicken. Wurde sie danach gefasst und hingerichtet, würde sie in dem Bewusstsein aus dem Leben scheiden, dass die Abtei eine Überlebenschance hatte.
Aber wem konnte sie so trauen, dass er eine solche Botschaft überbrachte? Nicht ihrem Vater, der sagen würde, sie erhielte nun die gebührende Strafe dafür, weil sie ihm nicht gehorcht hatte. Durand? Er war ein so warmherziger Junge gewesen. Würde er ihr diesen Gefallen tun? Sie
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