Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
seiner Schulter.
Sie verschob den Kopf und sah, dass er sie beobachtete. Er strich ihr das Haar aus den Augen und flüsterte: »Du bist schön, wenn du schläfst, Avisa.«
»Und wenn ich wach bin, nicht?«
Er lachte. »Das sieht dir nicht ähnlich, einem Mann Komplimente in den Mund zu legen.«
»Das alles sieht mir nicht ähnlich.« Sie lächelte. »Ich glaube, dass ich das ändern werde.«
»Gute Idee.« Er küsste sie leicht auf die Stirn.
Sie sog scharf den Atem ein.
»Was ist?«, fragte er, und sein Lächeln erlosch.
»Ich dachte … das heißt, ich vermutete …« Sie spreizte die Finger auf seiner Brust. »Ich ahnte nicht, dass mich bei dir auch eine so keusche Geste erregen würde.«
»Hast du erwartet, dass die Vorfreude erlöschen würde, wenn wir Liebesleute sind?«
»Ich weiß nicht. Daran dachte ich nie.«
»Dann glaube ich, sollte ich dir zeigen, wie oft ich daran dachte. Du warst eine gute Schülerin, doch ich habe noch viele Lektionen für dich parat.«
Er nahm ihren Mund in Besitz, und die erneute Leidenschaft seiner Lippen entfesselte eine Woge der Erregung in ihr. Einer Erregung, die sie lebenslang allein mit ihm teilen wollte. Da ihr dies nicht möglich war, musste sie dieses Gefühl und ihn genießen, solange sie es konnte.
19
Als sie die Kapelle betrat, befand Avisa sich außerhalb der schützenden Mauern des Haupttraktes. Die hohen Fenster, von denen zwei farbige Glasscheiben hatten und das dritte noch unverglast war, wiesen jedem Eindringling, der die Mauern erklomm, einen leichten Weg.
Vier Bankreihen standen vor einem mit Wintergrün dekorierten Altargitter. Das steinerne Taufbecken vor dem noch unfertigen Fenster schmückten Tier- und Blumenmotive. Zu ihren Füßen wechselten rote und schwarze Bodenfliesen ab. Im Raum roch es nach Feuchtigkeit und abgebrannten Kerzen.
In einer mittleren Reihe sitzend, beugte sie das Haupt und flüsterte die Gebete, die ihr stets Trost und Kraft beschert hatten. Die lateinischen Worte flossen ihr über die Lippen, doch sie sprach diese nicht mechanisch, wie so oft, wenn sie voller Ungeduld einer Frühmette oder einem Abendgottesdienst beigewohnt hatte, sondern ganz langsam, weil sie Stille suchte. Sie brauchte Ruhe, um Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
Im Kloster war alles so einfach gewesen. Der Unterricht begann frühmorgens und endete mit Einbruch der Dunkelheit. Die Schwestern, die sich in der Kampfkunst vervollkommnen wollten, arbeiteten zusammen, während die anderen der Abtei auf andere Weise dienten. Vor der Ankunft der Königin hatte niemand ihre Lebensweise in Frage gestellt.
Würde man eine andere schicken, wenn ruchbar wurde, dass Avisa ihr Treuegelöbnis gebrochen hatte? Sie blickte auf ihre Finger, die gefaltet auf der Bank vor ihr ruhten. Die Königin hatte ihr aufgetragen, alles zu tun, um Christian von Canterbury fernzuhalten, und die Äbtissin hatte sich diesem Befehl angeschlossen, doch Avisa hatte ihre Zweifel, ob die beiden damit auch gemeint hatten, sie solle mit ihm ins Bett gehen.
Das Kloster war ihr nun womöglich verschlossen. Es war ihr Zuhause, das einzige, an das sie sich erinnern konnte. Seine Insassinnen waren ihre Familie. Eine Familie, von der sie geglaubt hatte, sie hätte sie für immer, eine Familie, die sie bis jetzt als selbstverständlich betrachtet hatte.
Christian hatte keine über die Leidenschaft der vergangenen Nacht hinausgehenden Versprechungen gemacht. Sie hatte ihn nicht darum gebeten, nicht nur, weil seine Glut sie mitgerissen hatte, sondern weil sie wusste, dass Christian kein Versprechen geben würde, das er nicht zu halten beabsichtigte. Befürchtete sie sein Eingeständnis, dass er sie nur in die Arme genommen hatte, weil sie sich willig zeigte? Hatte Christian anders als sie einen Gedanken daran verschwendet, was über den Augenblick süßer Ekstase hinausging?
Sie hatte sich bereitwillig und ohne Gedanken an eine Verpflichtung hingegeben. Mit geschlossenen Augen gab sie sich der Erinnerung an das Gefühl seiner Finger auf ihrer nackten Haut hin. Jetzt musste sie mit den Konsequenzen leben. Eines hatte sich jedoch nicht geändert. Sie würde ihr Versprechen halten und Christian von Canterbury fernhalten, bis König und Erzbischof ihren Konflikt bereinigt hatten.
»Ich wünsche mir so sehr, dir wie versprochen zu dienen«, flüsterte sie über ihren gefalteten Händen. Sie war nicht sicher, ob sie zur Abtei oder zur Königin oder zu beiden sprach. »Fast hätte ich versagt, als
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