Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
in der vergangenen Woche. Ein Blick zur Kaminuhr belehrte ihn, dass er fast eine Stunde geschlafen hatte.
»Ich dachte, Sie sollten vielleicht wissen, dass die Missus in den Regen hinausgegangen ist.«
»Was?« Er schaute aus dem Fenster. Es hatte den ganzen Nachmittag geregnet. Jetzt war ein feiner Nieselregen daraus geworden. »Wann?«
»Vor einer Viertelstunde, vielleicht etwas länger.«
»Hat sie gesagt …?«
Mrs Beebe schüttelte den Kopf. »Kein Wort. Ich wollte Mr Beebe schicken, aber nach dem, was die Missus nach dem Essen zu mir gesagt hat, ist er nicht sehr gut auf sie zu sprechen – wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ich verstehe. Es tut mir leid. Ich werde gehen. Machen Sie sich keine Umstände. Mrs Taylor hat den Regen immer geliebt.«
Das stimmte nicht und er verspürte leichte Schuldgefühle, sowohl wegen der Lüge als auch wegen der Motive, die dahinter standen. Er wollte nicht, dass es jemand wusste – er wollte es selbst nicht wissen. Es passiert wieder …
Er hatte seine Frau bald gefunden. Sie hatte sich auf eine Bank gesetzt und schaute aufs Meer hinaus.
Sie saß völlig still. Ihre Haare, ihre Kleidung und ihr Gesicht waren durch und durch nass.
»Lizette, mein Liebling, was machst du denn hier?«
»Ich versuche, Frankreich zu sehen. Frankreich zu riechen und, nach diesem scheußlichen Abendbrot, Frankreich zu schmecken . Am Tag kann ich es nicht sehen wegen des ewigen Nebels und Regens in diesem Land …«
»Der Kanal ist hier zu breit. Ich wünschte, ich könnte dich nach Frankreich bringen, aber es hängt alles noch zu sehr in der Luft …«
»Aber heute Abend sah ich ein Licht«, fuhr sie mit leidenschaftlicher Stimme fort, als hätte er nichts gesagt. »Am Horizont. Ich dachte, voilà! Bien sûr! Nachts kann ich Frankreich sehen. Ich habe das Licht lange beobachtet. Es hat sich nicht bewegt. Es hat mir nur zugezwinkert, mich gerufen. Ich war so glücklich. Aber dann hat es sich doch bewegt. Es ist näher herangekommen und die Küste hinunter gesegelt. Es war einfach nur ein stinkendes Fischerboot, das noch mehr stinkenden Kabeljau brachte, den deine Mrs Beebe in Hammelfett braten kann.«
»Du hättest trotzdem etwas freundlicher zu ihr sein können.«
»Soll ich das Gift, das sie mir verabreicht, mit Freundlichkeit vergelten? Ich spüre es, Daniel, es füllt meine Eingeweide und fließt durch meine Adern. Es vergiftet mich. Es verändert mich. Ich war so … anders. So lebendig, so hübsch.«
Er kniete neben ihr nieder. »Das bist du immer noch.«
»Ich war so glücklich – weißt du noch?«
Tränen stiegen ihm in die Augen. »Ich weiß es noch«, sagte er ruhig. Er legte seine Hände auf ihre Knie. Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen und vermischten sich mit den kühlen Regentropfen auf seinem Gesicht. »Du wirst wieder glücklich sein, mein Liebling. Wir werden wieder glücklich sein.«
Am nächsten Nachmittag brachte Marie ein Tablett mit Tee herein, aber Lizette winkte sie gleich wieder hinaus. Sie nahm ein Buch in die Hand, schaute kurz hinein und warf es wieder weg. Sie stand vom Sofa auf und wanderte unruhig durch den Raum, rastlos wie ein Tier im Käfig.
Daniel ließ das Buch, in dem er las, sinken. »Sollen wir einen Spaziergang machen, Liebes? Etwas Bewegung täte uns beiden gut.«
»Wozu?«
»Wir könnten Anne mitnehmen. Sie genießt eine Ausfahrt in Mr Beebes Kinderwagen immer sehr.«
»Sally und Thomas Cox haben sie schon mitgenommen auf einen Spaziergang.«
»Hast du jetzt eigentlich mal darüber nachgedacht, ob wir unsere Nachbarn zum Tee einladen könnten?«
Sie lachte trocken auf und rollte die Augen.
»Kendall sagte mir, Mrs Dillard und ihr Hofstaat seien die schlimmsten Snobs im ganzen Dorf. Unsere Nachbarn sind sehr viel netter.«
»Warum sollten sie eine Einladung von mir annehmen? Ich bin ein Nichts.«
»Das stimmt nicht. Du bist eine wunderschöne Frau – du bist meine Frau.«
»Du bist auch ein Nichts.«
»Zugegeben.«
»Und morgen fährst du wieder nach London und lässt mich hier zurück, eingesperrt in diesem fremden Haus.«
»Wenn du willst, bleibe ich hier.« Er schwieg kurz. »Eine meiner Patientinnen erwartet Zwillinge und ich fürchte, es wird eine schwierige Geburt werden, aber ich bin sicher, Preston ist den Dingen gewachsen.«
»Der Mann könnte nicht mal einer Ziege auf die Welt helfen. Nein, geh nur. Geh und tu, was du tun musst.«
Fünf Tage später öffnete sich die Tür von Richard Kendalls Praxis und
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