Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
herum und starrte sie eindringlich an.
Sie sah die lange Degenscheide, die gegen sein Bein schwang. Seine Hand lag am Schaft der Waffe, als er einen Schritt auf sie zukam, und nur mit äußerster Willensanstrengung widerstand sie dem Drang, sich umzudrehen und nach oben zu rennen, wie die Mutter es befohlen hatte. Oder besser gleich hinaus ins Freie, wo sie Menschen um Hilfe bitten konnte.
»Lauf«, sagte ihre Mutter. »Lauf weg, Laura!«
Doch dafür war es zu spät. Der Mann hatte die Mutter losgelassen und war mit zwei großen Schritten bei Laura. Er packte sie und bog ihr den Kopf zurück.
Im nächsten Moment ging die Tür auf, und Laura schrie erleichtert auf, als ihr Vater das Haus betrat, hinter ihm die rundliche Gestalt der Hebamme. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er den Fremden sah, dann sprang er zur Kochstelle und griff sich ein Fleischmesser.
»Guido«, rief Anna. »Bitte nicht!«
Doch der Vater stürzte bereits mit wutverzerrtem Gesicht auf den Eindringling los.
Das Schaben von Metall auf Metall war zu hören, ein durchdringendes Geräusch, das Lauras Blick zurück auf den Mann lenkte, zu seiner Hand, auf deren Rücken ein gezacktes rotes Mal zu sehen war, eines von der Art, deren Herkunft dem Teufel zugeschrieben wurde.
Der Degen blitzte im einfallenden Sonnenlicht, und der Widerschein war so hell, dass er Laura blendete. Doch bevor der Mann die Waffe gegen ihren Vater erheben konnte, taumelte Guido Monteverdi einen Schritt zurück und ließ das Messer fallen, um sich gleich darauf beide Hände gegen die Brust zu pressen. Er schnappte nach Luft wie ein gestrandeter Fisch, und seine Augen waren so stark geweitet, dass das Weiße darin unnatürlich hell leuchtete. Er brach mit einem lang gezogenen Stöhnen in die Knie, hilflos zu dem Fremden hochstarrend. Dieser schob den Degen einfach zurück in die Scheide, mit demselben hellen Sirren, das er beim Ziehen verursacht hatte.
Laura schien es für einen absurden Augenblick, als hätte allein der Anblick der Waffe den Vater in die Knie gezwungen. Es konnte nur so sein, denn der Degen hatte ihn nicht berührt.
Laura hörte es in ihren Ohren rauschen und summen, und wie aus weiter Ferne erklang ein dünnes Heulen. Erst als der Fremde mit wenigen Sätzen zur Tür rannte, merkte sie, dass die Hebamme und ihre Mutter ununterbrochen und gellend schrien.
Der Mann verschwand, und Guido Monteverdi rutschte vollends zu Boden, wo er auf der Seite liegen blieb. Er war auf das Messer gefallen und hatte sich die Wange aufgeschnitten. Das Blut floss in einem dünnen Strom unter ihm heraus und bildete eine kleine Pfütze um sein Gesicht.
Seine Lippen bewegten sich, er schien etwas sagen zu wollen, doch er brachte keine Worte mehr heraus, nur noch dieses unheimliche, stimmlose Stöhnen. Sein Gesicht war grau, so wie die Wände, auf denen er seine Farben auftrug. Laura starrte ihn an. Wie aus weiter Ferne drangen die Schreie der Frauen zu ihr, während sie zusah, wie ihr Vater weiter die Lippen bewegte, bis es aufhörte und er mit gebrochenen Augen still dalag.
Von draußen kamen Leute hereingestürzt und scharten sich um die schreienden Frauen. Willenlos ließ Laura sich von einem der Nachbarn zur Treppe und dann nach oben in ihr Zimmer führen. Dort blieb sie am offenen Fenster stehen und schaute betäubt hinunter auf den Kanal.
Auch die Mutter war nach oben gebracht worden. Sie lag nebenan, schrie und weinte und wälzte sich unter Schmerzen hin und her, wie Laura am Knarren der Bettstatt hören konnte.
Die Hebamme war in beruhigendes Gemurmel verfallen, das in regelmäßigen Abständen von den immer wiederkehrenden Schreien der Mutter unterbrochen wurde.
Ein Boot mit Militi der Signoria traf ein. Sie vertäuten die Gondel am Steg und kamen ins Haus. Laura hörte sie unten mit den Nachbarn palavern. Die Hebamme wurde hinuntergerufen und kam wenig später schimpfend wieder nach oben. Sie streckte den Kopf in Lauras Kammer. »Du sollst runterkommen, die Büttel wollen mit dir sprechen.«
Sie musste es zweimal wiederholen, bis Laura begriffen hatte, was sie meinte.
Laura folgte ihr zur Stiege. Ihre Füße waren so schwer, dass sie unter ihr nachzuschleifen schienen, fast so, als gehörten sie nicht zu ihr, sondern zu einem fremden Wesen. Sie schaute im Vorbeigehen kurz zum Bett ihrer Eltern hinüber, doch die Hebamme hatte den Vorhang zugezogen, sodass die Mutter vor ihr verborgen blieb.
Übelkeit schnürte ihr die Kehle zu, während sie hinter der
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