Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
lieber die Stadtschlüssel dem Feind aushändigten, als im Schatten der einstmals großen Schutzmacht unterzugehen.
»Taci omai, o buon Leonida«, sangen die Venezianer, während sie durch die Stadt zogen und sie gewaltsam in Besitz nahmen. Sie priesen in ihrem Lied den Dogen Leonardo Loredan sowie Andrea Gritti, den Helden und Eroberer, der ihnen Padua wiedergegeben hatte.
Antonio ließ seine Blicke unschlüssig über die Piazza schweifen. Der Tumult hatte nachgelassen, die Soldaten waren aus ihrem Blutrausch erwacht. Der Regen, der mittlerweile in ein beständiges Nieseln übergegangen war, würde die Flammen bald löschen und dafür sorgen, dass sich das Feuer nicht ausbreiten konnte, ebenso wenig wie die anderen Brände, die hier und da in der Stadt aufgelodert waren. Die Menschen, die aus ihren Häusern vertrieben worden waren, sammelten sich und schickten sich an, in ihre vier Wände zurückzukehren, oder in das, was noch davon übrig war. Hastig rafften sie ihre auf den Gassen verstreut herumliegende Habe zusammen und verschwanden so schnell in der Nacht wie der Spuk, der um Mitternacht über sie hereingebrochen war. Bald darauf erschienen die ersten Totengräber, begleitet von Laternenträgern, um die Leichen auf Karren zu laden und fortzuschaffen.
Der Kriegslärm war verstummt, die Waffen ruhten.
Zuane war inmitten seines Trupps weitergeritten, unermüdlich in seinem Bestreben, die Hilflosen zu retten und die Brandschatzer zu strafen, so wie er auch vorher davon beseelt gewesen war, diesen gerechten Krieg für Venedig zu gewinnen. Am Ende hatte er wohl einsehen müssen, dass es immer mehr als zwei Seiten gab. Im Krieg war nichts vorhersehbar, und Begriffe wie Gut und Böse vermischten sich schneller, als ein Mann sein Schwert führen konnte. Ob Querini im Sinn gehabt hatte, diese Erkenntnis seinem Sohn zu vermitteln, als er ihm gestattet hatte, in den Kampf zu ziehen?
Antonio, der Zuane einige Gassen weit gefolgt war, gab es auf, weiter über Querinis Motive nachzudenken. Fürs Erste hatte er sein Versprechen erfüllt. Der Kampf war vorbei und Zuane außer Gefahr. Dennoch schickte Antonio ihm einen Teil seiner Männer hinterher, um sicherzustellen, dass es dabei blieb. Seine übrigen Gefolgsleute sandte er in zwei Gruppen aus, die eine mit dem Befehl, Quartier zu nehmen, die andere mit der Weisung, an den nächstgelegenen Hauptstraßen und Brücken bis zum Morgengrauen Posten zu beziehen, um etwaigen Widerstand in der Bevölkerung oder weitere Ausschreitungen der eingerückten Söldner zu unterbinden.
Er selbst saß ab und führte sein Pferd am Zügel neben sich her, bis er auf zwei Totengräber stieß, die einen gefallenen Soldaten der kaiserlichen Truppen auf einen Karren hoben, auf dem bereits weitere Leichen lagen.
»Ich suche eine Apothekerin«, sagte Antonio. »Sie ist jung und hat rote Haare. Man sagte mir, dass sich hier in der Nähe eine Farmacia von einem gewissen Silvano befindet, bei dem sie arbeitet. Könnt Ihr mir sagen, wo ich den Laden finden kann?«
Einer der Männer spuckte aus, direkt vor Antonios Füße. Der andere wandte sich ab, um den Karren fortzuziehen, blickte aber nach wenigen Schritten über die Schulter zurück. »Ihr steht genau vor dem Haus, das Ihr sucht. Es hängt sogar ein Schild daran.«
Das Gefährt rumpelte mit seiner schaurigen Last davon und verlor sich in der Dunkelheit zwischen den Häusern ebenso wie die beiden Männer, die in dem Fremdling den gleichen Feind sahen wie in allen anderen Soldaten, die vorher in der Stadt gehaust hatten.
Mit ihnen verschwand auch die Laterne, die vorher halbwegs die Gasse ausgeleuchtet hatte.
Antonio mühte sich ab, die Finsternis, die ihn mit einem Mal wieder umgab, mit Blicken zu durchdringen, um das vermaledeite Schild zu finden. Es war nirgends zu sehen, doch dann tat sich zu seiner Linken eine Tür auf, und ein glatzköpfiges Individuum steckte seinen Kopf heraus. Es war ein alter Mann, der ein Talglicht in der Hand trug. Ein riesenhaftes Ungetüm von Hund drängte sich gegen seine Hüfte, als warte er nur auf das Kommando, den unbekannten Besucher anzuspringen. Doch dann sah Antonio das freudige Wedeln des Schweifs. Er entspannte sich und nahm die Hand vom Knauf seines Schwerts.
»Wer fragt nach der Apothekerin?«, wollte der Alte mit fisteliger Stimme wissen.
»Ein Freund. Ich nehme an, Ihr seid Silvano, der Inhaber der Farmacia?«
Der Alte betrachtete ihn abwägend. »Woher soll ich wissen, ob es stimmt? Ich meine,
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