Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
kraftstrotzender Gestalt. Die muskulösen Beine steckten in seidenen Strumpfhosen, und gleich darüber, zwischen den bauschigen Falten seines kostbaren Brokatwamses, zog eine großzügig bemessene Schamkapsel das Auge des Betrachters auf sich. Heinrichs bärtiges rundes Gesicht war von gesunder Färbung, und seine Augen strahlten mit den Edelsteinen auf seiner brokatverzierten Brust um die Wette.
Die Königin, die mit ihm den Saal betreten hatte, war nur zum Bankett geblieben und nach kaum einer Stunde wieder gegangen, lange bevor die Musiker angefangen hatten, zum Tanz aufzuspielen – vermutlich wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft. Der König hatte sie liebevoll verabschiedet. Katharina von Aragon war sechs Jahre älter als der erst knapp neunzehnjährige Heinrich, doch man hatte gesehen, wie sehr das jung verheiratete Paar einander zugetan war.
Der Monarch schien sich indessen auch in Abwesenheit seiner Gattin gut zu amüsieren. Heinrich scherzte nicht nur mit den Männern aus seinem Gefolge, sondern redete und lachte auch mit den Hofdamen seiner Gemahlin, von denen es, ebenso wie von den anderen bei Hofe lebenden Adligen, recht viele zu geben schien – kein Wunder bei der enormen Größe des Schlosses.
Windsor Castle, ein gewaltiges Geviert stark befestigter Gebäude, lag in der Grafschaft Berkshire westlich von London. Die Themse floss unterhalb des Schlosses vorbei; das Ufer war nur durch einen grasigen Abhang von den Mauern des königlichen Anwesens getrennt. Antonio und Laura waren auf einem der flachen Flussboote hergekommen, mit denen es sich weit komfortabler reisen ließ als zu Pferde oder in einem holpernden Wagen.
Untergebracht waren sie in einer geräumigen Kammer in einem Gästeflügel, wo es ein Bett mit Daunenkissen, einen gekachelten Ofen und bestickte Gobelins an den Wänden gab. Zudem kümmerten sich Zofen und Diener um das leibliche Wohl der Gäste.
Heinrich VIII. war ein weltoffener, begeisterungsfähiger Herrscher, der gern fröhliche Gesellschaften und große Bankette gab, Musik und Tanz schätzte und zur Jagd ausritt. Nach dem Tode seines als eher geizig geltenden Vaters schien er das Leben in vollen Zügen zu genießen. Eines seiner neuen Interessen als frisch gekrönter König galt der Serenissima. Nicht nur die Diplomaten profitierten davon, sondern auch die zufällig anwesenden Kaufleute. Nach allem, was man hörte, war Heinrich, anders als sein Vater, der Löwenrepublik durchaus wohlgesonnen.
Die Musiker wechselten die Tonart, und ein neues Stück begann, mit einem schnelleren Takt als das vorangegangene. Heinrich schritt mit einer der tief dekolletierten Damen zum Tanz. Lachend drehte er seinen kräftigen Körper hin und her und hüpfte mit spielerischer Leichtigkeit von einem Bein aufs andere.
Laura betrachtete ihn fasziniert, während ihre Füße nicht aufhörten, den Takt zur Musik auf dem Boden zu klopfen.
»Madonna, mir scheint, Ihr würdet gern tanzen! Womöglich mit mir?«
Sie fuhr zu dem Mann herum, der sie angesprochen hatte. Entgeistert starrte sie ihn an.
»Zuane!« Freude und Begeisterung bemächtigten sich ihrer, als sie ihn so unverhofft vor sich sah. Sie lachte auf, überrascht und glücklich, und sie widerstand nur mit Mühe dem Impuls, seine Hände zu nehmen. »Was machst du denn hier?«, fragte sie atemlos.
Er lächelte sie an. »Dasselbe könnte ich dich fragen. Seit wann bist du hier?«
»Antonio und ich sind heute angekommen.«
»Natürlich, ohne deinen Gatten würdest du kaum so weit reisen. Allerdings stirbt die Hoffnung zuletzt, es hätte ja immerhin sein können.« Er schnitt eine Grimasse, als wolle er sich über sich selbst lustig machen. »Und kaum seid ihr hier, lässt er dich wieder allein. Sicher wichtige Geschäfte. Die Macht der Gewohnheit, wie?«
Diesmal war sie es, die das Gesicht verzog. »Er wollte sich nur kurz mit einem Kaufmann besprechen und gleich zurückkommen. Es wird bestimmt nicht lange dauern.« Sie betrachtete ihn neugierig. »Und was genau hast du hier zu tun?«
»Ich bin im Gefolge der Botschafter unterwegs. Nachdem ich weder für den Handel tauge noch mich als Kriegsheld hervortun konnte, hielt mein Vater es für eine gute Idee, dass ich die Kunst der Diplomatie erlerne. Es heißt, die Serenissima könne gar nicht genug fähige Gesandte aufbieten, vor allem in schwierigen Zeiten wie diesen. Im Großen Rat geht das geflügelte Wort um, die Diplomatie sei die einzig wirklich zuverlässige Waffe, die der Löwe
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