Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Aus Matteos Stimme klang Entsetzen.
»Ich komme zu dir, Matteo! Hab keine Angst!«
Silvio lenkte die Gondel an die steinernen Stufen der Fondamenta und wartete, bis sie eingestiegen und hinter ihm auf der mittleren Bank Platz genommen hatte. Aus der Nähe konnte sie seine verrottenden Zähne sehen, ebenso wie die tückische Vorfreude in seinen Augen. Der Vorhang war wieder über die Felze gefallen, doch Laura konnte Matteos unterdrücktes Schluchzen hören.
»Fürchte dich nicht«, sagte sie. »Ich bin hier. Was immer geschieht – ich bin bei dir!«
»Wir auch, mein lieber Rotschopf«, kam Arcanzolas leise Antwort. »Jetzt und für den Rest eures Lebens.«
Laura starrte in die Wellen, die sich vor der schneller werdenden Gondel teilten. Sie war bis tief in die Seele erfüllt von kalter, lähmender Angst.
Das Schiff, das Antonio nach längerer Suche für geeignet hielt, sollte nach Candia weiterfahren, der kretischen Hauptstadt. Kreta stand, obschon immer wieder Gegenstand kriegerischer Auseinandersetzungen mit den Osmanen, unter venezianischer Herrschaft und war somit sicher. Ein besseres Ziel war kaum denkbar, zumal Kreta ein Umschlagplatz für Waren aus aller Welt war und sich folglich hervorragend für den Abschluss neuer Geschäfte anbot. Warum nicht aus der Not eine Tugend machen?
Bei diesem Gedanken fiel es Antonio leicht, mit dem Kapitän der Karacke handelseinig zu werden. Dieser bestand allerdings darauf, dass alle Passagiere zuvor dem Schiffsbarbier zur Untersuchung vorgeführt würden, eine Forderung, der Antonio vorbehaltlos zustimmte.
Er hatte im Übrigen bereits weitergedacht. Nicht nur seine Familie würde auf dem Schiff Platz finden, sondern – auf der Rückreise – auch eine Ladung Wein. Den Frachtraum dafür mietete er an Ort und Stelle im Kontor der Compagnia an, unter deren Ägide die Karacke segelte. Den Wein würde er natürlich erst auf Kreta kaufen müssen, doch er war zuversichtlich, eine ausreichende Anzahl von Fässern erstehen zu können. Die Hauptfracht für die Rückfahrt bestand aus Weizen. Viele Schiffe brachten Weizen von Kreta nach Venedig, weil das Getreide von der Terraferma infolge des Krieges immer knapper wurde, doch auch Wein galt nach wie vor in der Lagunenstadt als unverzichtbar.
Antonio besiegelte das Geschäft durch Einzahlung einer festgesetzten Summe Goldes sowie durch Unterzeichnung einer Urkunde, die ihm das Vorrecht auf den von ihm beanspruchten Frachtraum verschaffte. Anschließend machte er sich auf den Heimweg, sorgsam darauf bedacht, stets ausreichend Abstand zu den Menschen zu halten, die auf den Kais unterwegs waren.
Zum wiederholten Male fragte er sich, ob Valeria wohl an der Pest erkrankt war. Die Symptome waren anfangs dieselben wie bei einem schweren Fieber. Er hatte Valeria nicht nur berührt, sondern sie sogar auf seinen Armen in ihr Bett getragen.
Bisher fühlte er sich nicht krank, aber noch war der Tag nicht vorbei. Die Pest, so hatte er inzwischen erfahren, konnte im ungünstigsten Fall einen so rapiden Verlauf nehmen, dass jemand, der sich am frühen Morgen noch gesund fühlte, am Abend bereits tot war. So wie der Apotheker aus Padua. Ein Bote war am frühen Morgen mit der Nachricht gekommen, dass Messèr Silvano an der Pest verstorben war. Den Hund hatten die Nachbarn getötet, aus Angst, dass er die Pest weiterverbreiten könnte. Über die Apotheke, so hatte der Bote weiter berichtet, seien abermals Plünderer hergefallen. Laura hatte zwischen Selbstvorwürfen und Trauer geschwankt, doch Antonio fand, dass sie im Moment schlimmere Sorgen hatten.
Die Riva degli Schiavoni war weitaus weniger belebt als sonst; die Matrosen zogen es angesichts der grassierenden Pest vor, auf ihren Schiffen zu bleiben. Unumgängliche Besorgungen erledigten sie möglichst gleich im Hafen. Auch von den Händlern waren bei weitem nicht so viele zu sehen wie gewöhnlich. Sowohl auf dem Markusplatz als auch am Rialto sowie hier auf der Riva waren nur wenige Kaufleute erschienen, um Geschäfte zu tätigen. Dasselbe galt für die Betreiber von Bauchläden und Ständen. Bis auf eine alte Frau, die fangfrischen Fisch vom Fass verkaufte, sowie einen Mann, der Melonen feilbot, konnte Antonio in unmittelbarer Nähe keine Verkäufer ausmachen.
Er war hungrig und durstig, daher kaufte er ein Stück Melone. Bevor er an den Stand trat, musterte er den Händler und suchte nach Anzeichen von Schwäche oder Fieber.
Der Mann blickte ihn von unten herauf an und zwinkerte.
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