Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
auf sie warteten.
»Am Anfang ist die Frau des Zunftmeisters regelmäßig hergekommen und hat nach dir und deinem Bruder geschaut, nicht wahr?«, fragte Arcanzola zusammenhanglos.
»Ja«, sagte Laura überrumpelt.
»Ich habe sie lange nicht mehr gesehen, im letzten Monat überhaupt nicht. Mag sie dich nicht mehr?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht ist sie krank.«
»Vielleicht«, murmelte Arcanzola. Sie richtete sich auf und zupfte an ihrem Skapulier. Ihr braunes Habit umschloss ihren Körper auf eine Weise, wie Laura es bei anderen Nonnen noch nicht gesehen hatte, denn Suor Arcanzola wirkte in dem sonst so formlosen Gewand der Ordensfrauen schlank und groß wie eine Königin. Ihre Brüste hoben sich deutlich unter dem wollenen Überwurf ab, und ihre Taille war dort, wo das Habit von dem hellen Strick zusammengehalten wurde, so schmal, als könnte man sie mit Händen umschließen. Laura hatte sie noch nicht ohne Kopfbedeckung gesehen, doch eines der Kinder hatte ihr erzählt, dass Arcanzolas Haar die Farbe von glänzenden Rabenschwingen hatte. Ihre Augen hingegen waren durchdringend grün, fast wie Glas, eine Farbe, die so intensiv war, dass sie sogar bei Kerzenlicht noch leuchtete. Ihre Lippen waren schmal, aber klar konturiert, sie passten zu ihr, genau wie die fein gezeichnete Nase und die geschwungenen tiefschwarzen Brauen. Sie hatte das Gesicht einer rätselhaften Madonna, und ihr Inneres war so dunkel und fremdartig, dass es Laura schauderte, sobald sie die Nonne nur sah.
»Du weißt, dass du Strafe verdient hast, nicht wahr?«, fragte Arcanzola mit freundlicher Stimme.
Laura presste die Lippen zusammen, bevor sie aufbrausen konnte. Natürlich hatte niemand ihr erlaubt, zum Karneval zu gehen, aber direkt verboten war es auch nicht. Die größeren Kinder durften tagsüber das Haus verlassen, sie wurden sogar häufig von Monna Paulina zu Besorgungen geschickt, sei es, weil Garn zum Nähen fehlte oder Talg für die Lampen geholt werden musste. Oder auch, um Nachrichten zum Kloster zu bringen, gemeinsam mit den Converse den Boden in der Kirche zu schrubben oder aber schlicht die Neugier der Aufseherin zu befriedigen, die manchmal lediglich wissen wollte, wie es jemandem aus ihrer verstreut in der Stadt lebenden Verwandtschaft gerade ging, selbst aber keine Zeit oder keine Lust hatte, den Weg auf sich zu nehmen. Für die Kinder – Laura eingeschlossen – waren diese Gänge immer eine höchst willkommene Abwechslung, und niemand hatte bisher deswegen Ärger gemacht.
»Wenn ich Strafe verdiene, nehme ich sie auf mich«, sagte Laura. Sie war wütend über das winzige, aber deutlich hörbare Zittern in ihrer Stimme, und als würde Arcanzola ihre Gedanken kennen, lächelte sie Laura mit schmalen Augen an. In ihrem Blick war etwas Abgründiges, und Laura spürte, wie sich in ihrem Nacken winzige Härchen aufstellten.
»Ja, was du getan hast, muss bestraft werden. Nicht allzu hart, ich würde sagen, zehn Stockhiebe und eine Woche nichts zu essen außer der Morgenmahlzeit, das müsste reichen, um dir für die Zukunft solche Flausen auszutreiben.«
Laura fühlte, wie Panik in ihr aufstieg. Die Hiebe konnte sie verwinden, sie hatte schon oft welche bekommen. Monna Paulina schlug hart und schnell zu, auch außerhalb der offiziell verhängten Prügelstrafen. Oft gab es, wenn Arme und Schultern getroffen wurden, eine Menge blauer und grüner Flecke, doch das ließ sich leicht ignorieren. Aber eine Woche lang nichts zu essen außer ein paar Brocken Brot – in ihrem Bauch krampfte sich alles zusammen. Sie hätte keinen Hunger haben dürfen, denn sie hatte vor wenig mehr als einer Stunde erst eine fettige Hühnerkeule verzehrt. Und doch hätte sie bereits jetzt die dreifache Portion auf einmal vertilgen können, so sehr gelüstete es sie nach Essen. Die Aussicht auf die Hungerstrafe machte ihr Angst. Die Schläge waren nichts dagegen.
Doch bei Arcanzolas nächsten Worten erkannte sie ihren Irrtum.
»Ich werde dich diesmal selbst schlagen«, sagte die Nonne leise. »Dein Vergehen war schlimm, du hast es verdient.« Sie lauschte, denn in diesem Moment läutete Monna Paulina im Erdgeschoss zum Abendbrot. »Später. Ich werde dich später holen. Geh so lange auf deine Kammer und warte dort auf mich.«
Der kleine Matteo war nicht gerade ein hübsches Kind, das musste selbst Laura zugeben, die ihn mit den Augen der liebenden Schwester sah. So unfertig er noch als Neugeborenes gewirkt hatte, so prägnant war sein
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