Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
ein Diener – hatte sie gesehen und kam näher. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes, ebenso wenig sein Aussehen. Er war nicht sonderlich groß, kaum mehr als ein Zwerg, aber breit gebaut, mit langen Armen, die ihm fast bis zu seinen Knien baumelten und in schaufelartigen Händen mündeten, und mit Brauen, die buschig über der Nasenwurzel zusammenwuchsen. Die Augen funkelten wie bei einem beutegierigen Raubtier, und raubtierähnlich war auch sein Lächeln, breit und mit schadhaften gelben Zähnen.
»Hier liegt noch was!«, beschwerte sich Lodovica. Sie bückte sich, um eine übersehene Münze aufzuheben. »Und da drüben ist auch noch eine!«
»Gib mir Matteo!« Laura riss ihr den Kleinen aus den Armen und lief voraus, damit die Amme ihr notgedrungen folgen musste. Von allein würde Lodovica nicht begreifen, dass sie in Gefahr waren, und es blieb keine Zeit, um es ihr zu erklären.
Laura rannte durch die Gasse, und dabei wurde ihr klar, dass der Mann sie verfolgte. Sie warf einen raschen Blick über die Schulter zurück und sah, dass ihr Gefühl sie nicht getrogen hatte.
Lodovica war stehen geblieben und blickte ihr verständnislos hinterher, dann bückte sie sich wieder und suchte den Boden nach ihrem Geld ab.
Der Mann rempelte sie von hinten an, worauf die Amme stolperte und hinfiel. Der enge Durchlass war durch ihren ausladenden Körper blockiert, und der Mann versuchte fluchend, sich an ihr vorbeizudrängen.
Laura lief um die nächste Ecke und beschleunigte ihre Schritte. Matteo war nicht allzu schwer, jedenfalls hatte sie das bisher immer gedacht. Mit seinen neun Monaten war er für ein Kind seines Alters normal gewachsen, weder zu groß noch zu klein, und sie konnte ihn ohne große Mühe aufheben und tragen. Doch nach wenigen Schritten kam es ihr vor, als wöge er doppelt so viel wie sonst. Keuchend hielt sie ihn umklammert, während sie ein Bein vors andere setzte und dabei betete, nicht zu stolpern.
Matteo hielt ihre Flucht für einen großen Spaß, er jauchzte und krallte seine Händchen in ihre Haare, während er im Takt ihrer Schritte in ihren Armen auf und ab hopste.
Laura lief quer über einen Campiello und zwischen zwei eng stehenden Häusern hindurch, dann weiter über eine Salizada und von dort in die nächste Abbiegung. Danach rannte sie immer weiter, ohne innezuhalten und ohne sich umzudrehen, bis sie am Ende einer Gasse vor einem Sottoportego landete, einem niedrigen Durchgang unter einem auf Säulen errichteten Haus. Laura musste sich ducken, um nicht oben anzustoßen. Matteo gab ein erschrockenes Quieken von sich, als sein Köpfchen die Decke streifte, schrie aber zum Glück nicht.
»Pst«, flüsterte sie. »Sei ganz still!«
Er patschte mit der Hand gegen ihre Wange, und sie atmete flach ein und aus, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während sie weiter gebückt zwischen den Pfosten hindurchschlich.
Ihre Brust weitete sich vor Anstrengung, während sie sich vollends unter dem Sottoportego hindurchquälte und sich schließlich an der Rückseite des Gebäudes aufrichtete. Sie blieb lauschend stehen, und gleich darauf entfuhr ihr ein entsetztes Keuchen.
Ihr Verfolger hatte den Platz auf der anderen Seite des Hauses erreicht. Laura hörte seine Schritte, sah seine Beine, die in ähnlich feinen Calze steckten, wie Cattaneos Gondoliere sie trug. Smaragdgrün, mit roter Wappenstickerei.
Möglichst geräuschlos huschte sie weiter durch die angrenzende Gasse – und stöhnte an deren Ende unterdrückt auf, weil sie sich am Kai eines Kanals wiederfand, bei dem es vor den rechts und links angrenzenden Häuserreihen keine Fondamenta gab. Lediglich eine lange hölzerne Anlegestelle ragte ins Wasser und bot mehreren dort liegenden Gondeln Platz, aber eine Möglichkeit, zu Fuß zu entkommen, gab es nicht.
Weiter vorn war eine Brücke zu sehen, aber um dorthin zu gelangen, hätte Laura zuvor eine andere Abzweigung nehmen müssen. Zum Umkehren war es jedoch zu spät. Der Mann hatte den Sottoportego bereits durchquert. Und er hatte sie gesehen! Mit hängenden Armen kam er näher.
In einer der Gondeln saß ein Mann, der sich gerade zum Abfahren bereit machte. Er hatte das Ruder in die Forcola geschoben und auf der hölzernen Abdeckung des Rumpfes Position bezogen.
Ohne groß nachzudenken, sprang Laura vom Steg in das Boot, den Kleinen mit einem Arm an sich gepresst, während sie sich mit der freien Hand an der Schulter des Gondoliere festklammerte, um nicht zu fallen.
Weitere Kostenlose Bücher