Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Heimkehrern besetzt, andere mit Menschen, die gerade erst zu ihren Vergnügungen aufbrachen, zumeist maskiert und edel gekleidet, einige sogar bereits in weinseliger Stimmung, wie aus den fröhlichen Satzfetzen, die herüberdrangen, unschwer zu erkennen war. Der Karneval war lange vorbei, doch die Zeit der Maskenträger währte das ganze Jahr, so war es in Venedig seit Menschengedenken.
Laura fröstelte unwillkürlich, während sie den zarten Körper ihres Bruders sanft wiegte. Er war eingeschlafen und lag still und schlaff in ihren Armen, das Köpfchen an ihre Schulter gebettet.
»Matteo«, sagte sie leise. »Matteo.« Sie dachte, der Klang seines Namens könne vielleicht ihre Angst lindern, so wie es schon einmal geschehen war, im vergangenen Jahr, als sie zum ersten Mal ins Ungewisse hatte aufbrechen müssen. Doch diesmal nützte es nichts. In ihr war eine schreckliche Furcht, die mit jedem Ruderschlag, der sie weiter in eine unbekannte Zukunft brachte, schlimmer wurde.
September 1503
Das Meer der Dächer unter ihnen bildete eine einzige rötlich graue Schindelfläche. Dicht an dicht standen Häuser und Palazzi, kaum, dass hier und da das Rund eines Campo zu sehen war. Die Kirch- und Wachtürme ragten aus der Masse der Gebäude heraus, gleißende Silhouetten im Sonnenlicht, aber es waren keine Kanäle zu erkennen.
Antonio kannte den Anblick bereits von früher und beobachtete nun Laura, die wie erwartet reagierte.
Blankes Erstaunen stand auf ihrem Gesicht. »Kein Wasser!«
Er grinste. »Kein Wasser.«
Tatsächlich schien die gesamte Umgebung frei von Wasserwegen zu sein, wenn man vom Campanile auf die Stadt hinabblickte. Man sah nur das Meer, eine strahlend blaue Fläche, die Venedig umschloss, aber keine Kanäle.
Antonio, der bei seinem ersten Besuch hier oben noch geglaubt hatte, ein seltsamer Zauber müsse das Gewirr der Kanäle zum Verschwinden gebracht haben, wusste nun, dass es an einer Verschiebung der Perspektive lag. Mit diesen Worten hatte es damals, als er noch klein gewesen war, der Torwächter seiner Mutter erklärt, die ihn mit auf den Turm genommen hatte. Als Fünfjähriger hatte er die Worte nicht einordnen können, aber er hatte sie sich gemerkt. Den Torwächter gab es immer noch. Der Mann war früher, als Antonios Mutter noch gelebt hatte, eine Art Onkel gewesen, der sie des Öfteren besucht hatte. Später, als die Mutter krank geworden war, hatte er sich so beiläufig aus ihrem Leben verabschiedet, wie er einst gekommen war. Immerhin erinnerte er sich noch an Antonio, zumindest war ihm sein Name wieder eingefallen, als Antonio ihn auf seine Mutter angesprochen hatte. Er war rot geworden und hatte gefragt, wie es der kleinen Cecilia ginge, und als Antonio ihn informiert hatte, dass sie tot sei, hatte er einen kurzen Satz des Bedauerns gemurmelt. Und er hatte sich sofort einverstanden erklärt, ihn und seinen Freund Lauro mit auf den Turm zu nehmen, damit sie sich von oben aus die Stadt anschauen konnten.
Antonio fühlte sich auf absurde Weise zufrieden, weil Laura sich zu freuen schien. Fast kam es ihm so vor, als sei es sein Verdienst, dass sie lächelte und ihre Augen in diesem besonderen Licht funkelten, das sich nur zeigte, wenn sie aufgeregt war. Dann schimmerten sie in diesem eigenartigen, lavendelfarbenen Blau, einen Ton dunkler als der Himmel und dabei doch so durchsichtig, dass er manchmal meinte, auf den Grund ihrer Seele schauen zu können, wenn er nur lange genug hinsah. Doch diese Möglichkeit gab sie ihm niemals; sie schlug immer die Augen nieder, wenn jemand länger ihren Blick festhielt. Nur ihren Bruder konnte sie fortwährend anschauen, so ausgiebig, als müsse sie sich jedes noch so winzige Detail seines Aussehens für die Ewigkeit merken.
»Wie kann das sein, dass man keine Kanäle sieht? Es gibt doch so viele!« Laura beugte sich vor und streckte ihren Kopf über die Brüstung der Aussichtsplattform. Sie prallte zurück, als der Käfig mit dem Ehebrecher in ihr Blickfeld geriet, der unterhalb der Brüstung baumelte. Der Mann war nackt bis auf einen Lendenschurz und sein feister Oberkörper krebsrot von der Sonne. Er machte eine obszöne Geste zu ihr herauf und rief ihr eine unflätige Bemerkung zu.
Laura erwiderte sie mit Worten, die den Mann augenblicklich zum Verstummen brachten. Der Mund blieb ihm offen stehen, und er äugte mit schafsartigem Gesichtsausdruck durch die Stäbe des Käfigs zur Brüstung hoch.
Antonio grinste in sich hinein. Im Fluchen
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