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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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sich um. Die fünf Minarette und dreihundert Marmorsäulen waren wunderschön. Einst war in der Moschee eine schiitische Universität untergebracht gewesen. Die religiöse Unterweisung war durch Unterricht in Philosophie, Chemie und Astronomie ergänzt worden. Nach der Machtübernahme durch die sunnitischen Ayyubiden war sie annähernd ein Jahrhundert lang geschlossen gewesen, bis sie im 13. Jahrhundert von den Mamelucken wiedereröffnet worden war und sich schließlich zu der berühmtesten muslimischen Universität entwickelte. Heute waren hier an die zwanzigtausend Studenten an neun Fakultäten eingeschrieben. Arabisch, Islamische Studien, Recht und Gesetz, Verwaltung und Handel, Agrikultur, Medizin, Ingenieurwissenschaften, Pädagogik und die Fakultät für Frauen.
    Judith holte tief Luft. Sie war im Land des Islam angekommen.
    Schweigend verharrte sie ein paar Minuten im Herzen der Moschee. Glücklicherweise musste sie nicht lange warten. Schüchtern fasste sie jemand am Arm. Sie unterbrach ihr Gebet. Ein zehnjähriges Kind sah sie lächelnd an. Mit arabischem Akzent sprach es ihren Namen aus: »Judith?«
    Die junge Frau nickte. Das war bestimmt Anselmos kleiner Engel, der sie zu ihm führen sollte. Der Junge trat ein paar Schritte zurück und gab Judith ein Zeichen. Sie überquerte den Hof an seiner Seite. Inzwischen strömten die Gläubigen in die Moschee, es war Gebetszeit. Judith warf einen letzten Blick auf die fünf strahlend weißen Minarette. Am Eingang zog sie ihre Schuhe wieder an. Ihre Kopfschmerzen waren verflogen.
    Kurze Zeit später war sie bei Anselmo und Harry Milchan. Der Agent trug ein weißes Hemd, einen Blazer und eine beigefarbene Hose. Wie Judith von Kardinal Lorenzo wusste, arbeitete Harry Milchan seit fünfzehn Jahren in Kairo für den israelischen Geheimdienst.
    Der kleine, gedrungene Mann mit dem schwarzen Lockenkopf war dem Aussehen nach alles andere als ein James Bond. Sie sahen einander an und gaben sich die Hand. Judith rückte ihr Kopftuch zurecht. Anselmo beugte sich zu ihr. In den Sonnenstrahlen, die zwischen ihnen zu Boden fielen, tanzte der Staub.
    »Wir haben ihn entdeckt. Er trinkt gerade Tee in einem Hinterzimmer hier im Basar«, sagte Anselmo. »Wir gehen zusammen hinein. Es gibt nur eine einzige Tür, und er scheint nicht bewaffnet zu sein. Im Gegensatz zu uns. Ich gehe also mit Ihnen hinein. Harry wartet draußen vor der Tür, für den Fall der Fälle. Falls wir es nicht schaffen, löst er uns ab, um den Archäologen zum Reden zu bringen. Wir müssen uns beeilen. Nicht, dass er uns durch die Lappen geht.«
    »Gut, gehen wir«, sagte Judith. »Mr. Milchan, danke für Ihre Hilfe.« Der andere nickte wortlos. Der kleine Engel war noch immer da und streckte die Hand aus. Judith brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass er auf ein Trinkgeld hoffte. Sie war erst seit zwei Stunden in Kairo und sozusagen innerlich noch nicht ganz angekommen. Immerhin hatte der Kleine seinen Auftrag brav ausgeführt. Sie zog eine Fünf-Pfund-Note aus der Tasche und reichte sie ihm. Anselmo gab ihm ein Zeichen, sich davonzumachen. Laut lachend dankte der Kleine, verbeugte sich mehrfach und verschwand.
    Judith, ihr Leibwächter und Harry Milchan bahnten sich den Weg zur Sharia el-Muizz li-din Allah, der wichtigsten Straße im Khan-el-Khalili, dem berühmtesten Basar in dieser unglaublichen Stadt.
    In den Geschäftsstraßen wechselte sich Gestank mit raffinierten Düften ab. Bei jedem Schritt lief man Gefahr, in der dicht gedrängten Menge entgegenkommende oder aus Seitengassen strömende Passanten versehentlich anzurempeln. Barfüßige Kinder liefen von Laden zu Laden. Ägypter in Djellaba, im Pyjama, in traditioneller oder europäischer Kleidung gingen unter dem ruhigen Blick von Wasserpfeife rauchenden Landsleuten ihren Geschäften nach. Verschleierte und unverschleierte Frauen in schwarzen Gewändern waren mit Lebensmitteln, Gewürzsäcken oder riesigen Bündeln beladen. Obwohl Judith, um kein Aufsehen zu erregen, aufpasste, dass ihr blondes Haar bedeckt blieb, fiel sie auf. Männer, die den Blick nicht von ihrem hübschen Gesicht nehmen konnten, riefen ihr lächelnd zu: »He, meine Gazelle«, und luden sie zum Tee in ihrem Laden ein. Man hielt sie offenbar für eine Touristin. Ach, Schönheit! Verbotene Frucht! Dennoch wagte es niemand, ihr zu nahe zu treten, und noch weniger, sie zu berühren. Manchmal lief jemand einige Schritte hinter ihr her, bis sie in der Menge verschwand. Dann ließ man

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