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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Familienersatz.«
    »Vergiss es«, sagte ich noch einmal, aber Nina sprach unbeirrt weiter: »Die wohnen zu viert plus Kind und Katze in einer alten Jugendstilvilla mit Garten. Das Zimmer, das frei wird, liegt in einem Turm und ist wie eine Maisonettewohnung geschnitten. Du hättest sogar ein eigenes Bad.«
    Als ich nichts erwiderte, fuhr sie rasch fort: »Die Leute sind echt total witzig. Einer ist Bildhauer, der andere Schreiner, und Wiebke wird mal Schriftstellerin, wenn ihre Kleine aus dem Gröbsten raus ist. Sie haben auch nichts gegen eine zweite Katze im Haus.«
    »Und wo soll das alles sein?«
    Nina lachte zufrieden. »Du kannst gleich heute Nachmittag vorbeikommen, ich hab' dich schon angekündigt. Es liegt im Dornröschenweg.«
    Der Straßenname war echt die Krönung. Nina wusste genau, wie sehr er mein romantisches Herz erfreute. Da ich dachte, es könne nichts schaden, sich die Sache wenigstens mal anzuschauen, fuhr ich gleich nach der Arbeit dorthin. Das Haus stand in einer Reihe mit stuckverzierten Bauten der gleichen Epoche, die mit Hecken und kleinen Vorgärten gegen die ohnehin ziemlich verkehrsarme Straße abgeschirmt wurden, jedes in einer anderen Farbe gestrichen. Dies war blassrosa, die Fenster waren cremeweiß. Es erinnerte an eine köstliche Erdbeersahnetorte und passte farblich auf frappierende Weise zum Straßennamen. Im Vorgarten streckte eine riesige Magnolie ihre kahlen Äste aus. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, wie zauberhaft es hier im Frühling aussehen würde. Ich liebte das Haus auf Anhieb.
    Eine Frau mit Fransenschnitt öffnete mir die Tür.
    »Jürgen ist nicht da«, sagte sie.
    »Ich wollte nicht zu Jürgen, jedenfalls glaube ich das«, sagte ich. »Meine Freundin Nina hat ...«
    Aus dem Hausflur ertönte lautes Gebrüll. »Aa!«, schrie eine helle Kinderstimme.
    »Ich bin ja hier, Sara«, sagte die Frau mit dem Fransenschnitt. Sie musste die Mutter aus Ninas Gruppe sein.
    »Hallo«, fing ich noch einmal an. »Ich ...«

    »Aa!«, brüllte das Kind.
    Die Frau ließ mich in den düsteren Flur eintreten.
    Hier schlug mir ein unangenehmer Geruch entgegen. Das ungefähr zweijährige Mädchen, das auf dem Fußboden hockte, machte sich sehr verdächtig. »Aa!«, sagte es wieder.
    »Mama ist hier, Sara.«
    »Ich glaube, sie meint, sie hat in die Hose gemacht«, sagte ich verlegen.
    Die Frau hielt eine beigefarbene Windel hoch.
    »Was meinst du denn wohl, was ich hier habe?«
    Sie legte das Kind an Ort und Stelle auf den Fußboden und begann, die Hose auszuziehen. Ich schaute angelegentlich auf die Flurwand. Hier hatte jemand passenderweise »Scheiße« hingesprüht, nicht nur einmal, sondern unzählige Male, in allen Farben und Größen. Darunter, in einem alten Wäschekorb, lagerten gelbbräunliche Gegenstände, die aussahen wie die Windel, die die Frau mir gezeigt hatte. Diese hier waren benutzt und schon etwas älter.
    »Das sind Biowindeln, keine Pampers«, sagte die Frau auf dem Boden. »Die sind kompostierbar. Wen suchst 'n du?«
    »Du bist sicher Wiebke«, sagte ich. »Nina Hempel ist eine Freundin von mir, und sie schickt mich her.«
    »Ah«, sagte Wiebke. »Die Arztfrau, ich weiß schon.«
    »Puh, das riecht aber gar nicht gut.« Hinter Wiebkes Rücken war ein schlankes, großes Mädchen aufgetaucht. »Musst du das denn hier draußen machen, Wiebke?«

Wiebke gab keine Antwort.
    »Hi«, sagte ich. »Ich bin Felicitas. Meine Freundin Nina hat mir gesagt, dass hier ein Zimmer frei wird.«
    »Meins«, sagte das Mädchen. Sie war bildschön mit schulterlangen roten Locken und einem blassen, feinen Teint. Ihre Augen waren selbst im trüben Flurlicht leuchtend blau. »Ich heiße Britt, hallo. Ich ziehe in ein Apartment zu meinem Freund. Er ist Professor für Jura. Ich schreibe meine Doktorarbeit bei ihm. Über Sachrecht.«
    »Sie zieht in das Apartment von ihrem Freund«, verbes
    serte Wiebke. »Der wohnt selber woanders. Er ist nämlich verheiratet.«
    »Noch«, sagte Britt.
    »So schnell verlässt ein Mann nicht seine Frau«, sagte Wiebke und warf Saras Windel auf den Haufen zu den anderen. »Nicht, wenn Kinder da sind.«
    »Das sieht man ja an dir«, höhnte Britt.
    »Außerdem sind Bertolds Kinder erwachsen.« Sie drehte sich zu mir um. »Wenn du willst, zeig' ich dir mein Zimmer, damit du dir ein Bild machen kannst.«
    Ich folgte ihr neugierig die Treppe hinauf in den zweiten Stock, vorbei an einem weiteren Dutzend Scheiße- Graffitis. Britts Zimmer war

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