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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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dem Gerüst herunter.
    »Pater Melvinius, wie schön, Euch zu sehen. Wollt Ihr das Fortschreiten der Arbeiten betrachten? Ihr habt seit der Wallfahrermesse nicht mehr vorbeigeschaut.«
    »Nur zu gerne, Meister Clemens. Ich sehe, ihr habt das dritte Bild beendet. Der junge Jesus im Tempel. Eine beeindruckende Darstellung des Gebäudes. Ihr beherrscht die Kunst der Perspektive meisterlich. Und – oh – die Kunst der Porträtmalerei offensichtlich auch. Mein lieber Meister Clemens, das ist aber sehr ungebührlich.«
    »Was, Pater?«
    »Der heilige Joseph. Was werden meine Brüder nur von mir denken?«
    »Nichts – seht Euch die Gesichter der Lehrer und Schriftgelehrten im Tempel doch einmal näher an.«
    Melvinius zog seine Brille hervor und befolgte den Rat. Ich tat es auch. In den letzten Tagen hatte Kristindas Bild noch einmal übermalt, und nun fand ich den Abt neben dem Bruder Camerarius sitzen, Bruder Everard, den Gärtner, an seiner Seite knien und viele andere mehr. Was für ein kluges Mädchen, die Kristin.
    Melvinius lachte leise vor sich hin.
    »Ausgezeichnet getroffen. Ganz ausgezeichnet, Meister Clemens.«
    Ich stupste den Pater an seine Wade und schwänzelte dann an dem Gewandsaum des heiligen Joseph vorbei.
    »Aber das ist ja ganz reizend. Mirza, die Klosterkatze, habt Ihr auch nicht vergessen. Ganz lebensgetreu. Man kann ja jedes einzelne Barthaar erkennen!«
    Er kniete vor der Wand nieder und verglich Bild und Original. Vor lauter Freude glättete sich sein Gesicht, und seine Augen strahlten.
    Er hatte viel Ähnlichkeit mit dem Jungen Jehan. Kristin hatte Recht.
    »Und was habt Ihr als Nächstes in Angriff genommen?«
    »Die Beweinung Christi mit Maria von Magdala, Maria Kleopas und Maria, der Schmerzensreichen Mutter.«
    »Ein zu Herzen gehendes und trauriges Sujet.«
    »Darum auch die dunklen Farben und die düstere Szenerie. Karge Steine, drohende Wolkenmassen und nur ein einzelner Lichtstrahl, der den blutenden Leichnam erhellt. Seht, hier sind die Vorzeichnungen dazu.« Kristin rollte einige Bahnen Papier auseinander, auf denen mit schwarzem Stift die Figuren dargestellt waren. »Wir übertragen diese Zeichnungen auf den feuchten Putz und legen sie dann mit kalkbindenderFarbe an. Damit sind sie dann unlöslich mit der Wand verbunden.«
    »Und was macht Ihr, wenn Ihr Euch einmal vertan habt?«
    »Wenn es ein gravierender Fehler ist, müssen wir den Putz wieder abnehmen und von neuem beginnen. Kleinere Korrekturen aber kann man später auch durch Übermalen anbringen.« Kristin kicherte plötzlich. »Mein Bruder hat neulich doch wirklich rote Blätter an den Busch gemalt. Da mussten wir den Putz an der Stelle ganz entfernen.«
    Melvinius sah sie plötzlich höchst interessiert an, und in diesem Augenblick bemerkte Kristin, was sie gesagt hatte. Sie schlug entsetzt die Hand vor den Mund.
    Ich hielt förmlich den Atem an, nur dieser dämliche Schwanz peitschte nervös hin und her.
    »Nun, Meisterin Kristin, Ihr werdet guten Grund haben, Euch die Arbeit mit Eurem Bruder zu teilen. Glaubt mir, Euer Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.«
    Kristin schien sich ein wenig schwach zu fühlen, und sie setzte sich auf die Bank, auf der die Tiegel standen. Ich sprang zu ihr hoch und fühlte sie zittern.
    Sehr ernsthaft begann ich zu schnurren. Das beruhigt doch immer.
    »Ihr seid blass, Jungfer Kristin«, stellte Pater Melvinius leise fest und legte ihr zart die Hand auf die Schulter. »Macht Euch doch keinen Kummer deshalb. Ihr habt offensichtlich ein großes Talent und leistet hervorragende Arbeit.«
    »Ich... wir...«
    »Ihr braucht natürlich nicht darüber zu sprechen, meine Tochter. Doch könnte es möglicherweise helfen, einen Verbündeten hier im Kloster zu haben. Wenn es Euch hilft, vertraut Euch mir an. Ich schätze Euch und Euren Bruder sehr, des könnt Ihr gewiss sein.«
    Kristin sah mit großen Augen zu dem Pater auf.
    »Und Mirza liebt Euch ebenfalls«, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu. »Auch sie weiß, wie jede Katze, Geheimnisse zu wahren!«
    »Mirrr!«, bestätigte ich seine Worte.
    »Ich würde es Euch gerne erzählen, Pater. Damit Ihr versteht.«
    »Nun, dann kommt mit in den Kreuzgang. Bis zur Sext haben wir ihn ganz für uns allein.«
    Ich begleitete die beiden in den stillen Säulengang. Sie setzten sich auf eine der Bänke, auf die durch die steinernen Bögen das Sonnenlicht fiel. Ich rollte mich gemütlich auf Kristins Schoß zusammen, um begierig dieser Geschichte zu

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