Die Lavendelschlacht
meinem Mund geschossen. Gerade noch rechtzeitig, denn oben tat sich was. Es sah so aus, als hätten die Touris sich nun endlich auf eine Sightseeing-Route geeinigt. Im Zeitlupentempo falteten sie den Stadtplan zusammen. Haut rein Leute, es wird früh dunkel!
Ich platzte fast vor Neugierde. Gespannt hielt ich – diesmal freiwillig – den Atem an und lief gegen die Fahrtrichtung einige Stufen nach oben.
Doch ich kam nicht weit.
Eine dicke Matrone mit ebenso voluminösen Einkaufstüten beanspruchte die komplette Breite der Rolltreppe für sich. Kurz überlegte ich, ob ich es riskieren sollte, mich an ihr vorbeizuzwängen. Ich erntete einen drohenden Blick. Sollte ich es drauf ankommen lassen? Nein, besser nicht. Mein Glück war bisweilen nicht besonders zuverlässig.
Dummerweise war die Rolltreppe mittlerweile so weit in den dunklen Schlund abgetaucht, dass ich selbst mit den allergrößten Verrenkungen keinen Blick mehr auf Mona erhaschen konnte.
So ‘n Mist! Ich kam mir vor wie im Kino, wo kurz vorm Ende der Film reißt.
Ich brannte darauf, den Ausgang der Geschichte zu erfahren. Wieder zu Hause, klingelte ich alle paar Minuten bei Mona durch, um die Identität ihres geheimnisvollen Begleiters zu lüften. Gut, dass es an meinem Telefon eine Wahlwiederholungstaste gab!
Stunden später – es war schon nach sechs – erreichte ich sie endlich.
Aber bevor ich sie richtig in die Mangel nehmen konnte, kam sie mir zuvor. »Annette, du darfst mir gratulieren«, jubilierte sie. Wie heißt er? Was macht er? Kennst du seine Eltern? Oder seine Schuhgröße? Wie alt ist er? Mir schwirrten so viele Fragen im Kopf rum, dass ich erst einmal versuchte, sie nach Wichtigkeit zu ordnen.
»In sechs Wochen habe ich meine erste eigene Vernissage!«
»Wie heißt er?« Zunächst musste man herausfinden, mit wem man es zu tun hatte. Ganz klar, das hatte oberste Priorität.
»Wer? Der Galerist?«, fragte Mona erstaunt. »Kleve heißt der, Roland Kleve.«
Langsam sickerten ihre Worte zu mir durch. Tröpfchenweise. Ich war aber auch wirklich ein Rindvieh!
»Wahnsinn! Fühl dich geherzt und geknuddelt«, gratulierte ich ihr überschwänglich. »Ich hab ja immer gewusst, dass du es eines Tages schaffst!«
Mona schickte ein nervöses Lachen durch die Leitung. »Noch habe ich gar nichts geschafft. Stell dir mal vor, das Ganze wird ein Flop.«
»Ach was, die Ausstellung wird bestimmt ein Bombenerfolg!«, fegte ich ihre Zweifel beiseite. »Das müssen wir feiern. Wie wär’s mit heute Abend?«
»Sorry, ich hab wirklich keine Zeit, Schätzchen. Ich muss arbeiten. Nächste Woche will sich Herr Kleve, übrigens ein wahnsinnig netter und gut aussehender Typ, wieder mit mir treffen, um das Konzept für die Ausstellung zu besprechen.«
Mona war total aus dem Häuschen. Völlig überdreht berichtete sie mir, was der Galerist zu ihren Fotos gesagt hatte (superb!), wer zu der Ausstellung eingeladen würde (alle) und wie viel es vorher noch zu erledigen gab (jede Menge!).
»Ach, Annette«, seufzte sie glücklich, »ich bin ja sooo aufgeregt.«
Ich freute mich riesig für Mona. Wow, wenn sie und dieser Galerist, von dem sie in den höchsten Tönen geschwärmt hatte, es richtig anstellten, konnte die Vernissage Monas großer Durchbruch werden. Ohne es zu merken, hatte ich mir schon wieder eine fade schmeckende Haarsträhne in den Mund gestopft. Mist! Im Eifer des Gefechts hatte ich vergessen, Mona wegen meines Dates mit Josch um Rat zu bitten. Aber sie war jetzt wirklich mit anderen Dingen beschäftigt. Im Zweifelsfall konnte ich immer noch in allerletzter Minute krank werden.
Ich goss mir ein Glas Wein ein, um auf Monas Erfolg zu trinken. »Prost, meine Süße!« Während mir der erste Schluck wohltuend die Kehle hinunterrann, überlegte ich, was ich mit dem angebrochenen Abend anfangen sollte. Das Fernsehprogramm war mal wieder lausig, und zum Lesen hatte ich auch keine Lust. Mein Blick blieb an dem Computer hängen. Bei Diabolo war zur Zeit Land unter, nach der kleinen Zwangspause gab es massenhaft aufzuarbeiten. Vielleicht konnte ich für die nächste Ausgabe schon mal ein bisschen recherchieren und mir gleichzeitig bei Bernd ein paar Fleißpunkte einheimsen.
Ich schaltete den Computer an und begehrte Einlass ins Internet. Sesam, öffne dich! Immer hereinspaziert ins Netz der unbegrenzten Möglichkeiten ...
Nachdem ich ein paar Infos für Diabolo zusammengesucht und ausgedruckt hatte, ließ ich mich im Universum der Nullen und
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