Die Lebküchnerin
wollte seinen Bruder nie betrügen. Da hätte ihn der alte Ehrenreit hundert Schwüre ablegen lassen können. Julian atmete tief durch. »Ich muss fort. Noch heute. Was er mir mit auf den Weg gegeben hat, erschüttert mich bis ins Mark …« Er stockte und seufzte. »Konstantin, ich bin nicht der Sohn deines Vaters …«
»Hat Mutter einen anderen Mann geliebt?«, unterbrach Konstantin den Bruder entsetzt.
»Nein, dein Vater hat deine Mutter so geliebt, dass er sich an einer Ungeheuerlichkeit beteiligte, die sich die Familie deiner und meiner Mutter ausgedacht hatte. Und alles nur, weil Leonore keinem Bastard das Leben schenken sollte.«
Fassungslos hörte Konstantin zu, wie sich Julian ihm nun ohne Unterbrechung offenbarte. Als Julian geendet hatte, sagte Konstantin leise: »Aber deshalb musst du doch nicht fort. Dein größter Wunsch war es doch seit jeher, Herr der Burg Ehrenreit zu sein. Nun kannst du es doch endlich werden, denn ich bleibe nicht. Es weiß doch keiner außer uns … und der Muhme.«
»Es geht doch nicht darum, ob es die Menschen dort draußen wissen oder nicht. Ich kann nicht einfach so weiterleben, als wäre nichts geschehen. Mich zieht es in die Welt hinaus. Weit fort. Ich werde wieder als reisender Fechtmeister hie und da Schulen veranstalten. Und tu mir bitte zwei Gefallen. Sag meiner Braut in Nürnberg, dass ich fort bin und niemals zurückkehren werde. Dann ist sie frei von dem Eheversprechen und kann einen anderen heiraten.«
»Aber wo finde ich deine Benedicta?«
Julian lief rot an. »Meine Braut ist nicht Benedicta. Es ist Alisa, die Tochter meines Fechtlehrers Meister Arnold. Du warst doch einmal mit mir dort.«
»Gut, gut, nur … wer ist dann Benedicta, nach der du mich vorhin fragtest.«
»Benedicta von Altmühl ist eine Schwester aus Kloster Engelthal. Als die Muhme meine Gefühle für die junge Nonne erahnte, verlangte sie von mir, eine andere zu heiraten. Nur widerwillig kam ich ihrem Befehl nach und hielt um Alisas Hand an. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Man hatte den Abschied zwischen der Schwester und mir beobachtet, und der Provinzial wollte über uns zu Gericht sitzen. Dabei hatte er den perfiden Plan, uns entkommen und auf der Flucht meucheln zu lassen. Die Muhme …« Er stockte und senkte den Kopf vor Scham, bevor er weitersprach. »Die Muhme verhalf uns vorher zur Flucht, doch dann wurde ich im Wald von diesem Geschoss in den Rücken getroffen. Ja, und mehr weiß ich nicht. Ich hoffe, Benedicta konnte sich auf dem Schwarzen retten. Nur – wohin, wenn sie nicht hier auf der Burg ist?«
Konstantin schluckte trocken. »Den Schwarzen fing ich auf der Lichtung ein, nachdem ich deine beiden Verfolger unschädlich gemacht hatte.«
»Aber wo ist Benedicta geblieben? Hast du sie gesehen? Sie war in Begleitung einer anderen Frau. Ihrer Freundin, der Köchin?«
Betrübt schüttelte Konstantin den Kopf, doch dann hellte sich sein Gesicht auf.
»Sie war es, die dir den Pfeil aus der Wunde zog. Von ihr stammten die Geräusche bei der großen Eiche. Julian, ich bin mir sicher, auf der Lichtung hielt sich noch jemand auf. Und aller Wahrscheinlichkeit war es deine Benedicta.«
»Du musst sie finden, Konstantin. Du musst!«
»Wieso ich? Niemand ist dafür weniger geeignet als ich. Um sie vor dem langen Arm des Provinzials zu retten, gibt es nur eine einzige Möglichkeit: sie muss einen mächtigen Mann heiraten. Und bis nach Burg Ehrenreit reicht die Macht des Provinzials nicht. Du musst sie suchen und schnellstens heiraten!«
»Aber ich kann dieser Mann nicht länger sein! Ich bin ein Bankert und habe einer anderen als ihr das Eheversprechen gegeben …«
»Ach, daher weht der Wind! Deshalb willst du weg. Gib es zu! Du willst fortlaufen, weil du nicht weißt, wie du aus der Sache wieder herauskommen sollst. Nicht deshalb, weil du Leonores Sohn bist. Ich hätte mich auch darüber gewundert, dass du so in Selbstmitleid badest. Dabei willst du nur deine Haut retten. Wahrscheinlich zöge dir Fechtmeister Arnold das Fell über die Ohren. Aber du kannst nicht einfach weglaufen!« Konstantins Ton wurde scharf.
»Beim himmlischen Herrn, ich möchte nie mehr daran erinnert werden, was ich heute erfahren habe. Verstehst du das nicht? Es war alles eine Lüge! Ich kann nicht Herr einer Burg werden, die mir nicht gehört.«
»Aber wenn ich sie dir doch schenke!«, widersprach ihm Konstantin heftig.
»Du hast recht, ich stecke in der Klemme, denn Alisa und ich haben
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