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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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nach warmer Haut und Babycreme, so wie sie es tun sollten. Von keiner dieser Sachen konnte ich mich trennen. Schließlich holte ich das Amselnest aus der Schublade mit meiner Unterwäsche hervor, trug es in das Kinderzimmer und legte es sacht in das Bettchen, gleich neben den Teddybären.
    Stunde um Stunde saß ich in dem steril wirkenden Zimmer, bis ich deinen Schlüssel im Schloss hörte. Jedes Mal tat ich, als würde ich schlafen, doch du setztest dich zu mir und strichst mir über die Wange. Ich wusste, dass du versuchtest, mich zu erreichen, aber ich ließ es nicht zu. In meinem Herzen durfte nur Trauer sein, alles andere wäre mir vorgekommen, als würde ich Joel betrügen. Am meisten erinnere ich mich an die Einsamkeit in dieser Zeit, an die langen Tage, an denen ich die kleine Decke umklammert hielt, die ich aus Joels Brutkasten mitgenommen hatte. Ich konnte ihn noch riechen, auch wenn der Geruch täglich schwächer wurde, und nahm mir vor, die Decke nie zu waschen.
    Seit Joels Begräbnis hatte ich das Haus nicht mehr verlassen. Dann und wann machtest du eine vorsichtige Bemerkung über das Durcheinander in der Wohnung und sagtest, unser Kühlschrank sei leer. Wir lebten von den Mahlzeiten, die wir liefern ließen, und den Dosen, die wir noch im Schrank hatten. Ich konnte nichts essen. Ich konnte gar nichts tun.
     
    Drei Wochen nach dem Begräbnis zwang ich mich aufzustehen und mich trotz meiner bleiernen Glieder an den Frühstückstisch zu setzen. Du warst froh und griffst nach meiner Hand. Dein Blick fiel auf meinen ausgeleierten Schlafanzug, denn er gehörte noch zu meiner Schwangerschaftsausstattung und hing lose um meinen Körper. Mehr als eine Scheibe Toast zu buttern, schaffte ich nicht, mir fehlte jeglicher Appetit.
    »Rose«, begannst du sanft. »Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen.«
    Ich machte mich daran, die Butter wieder von der Toastscheibe zu kratzen. »Von denen habe ich im Krankenhaus mehr als genug gesehen.«
    »Von solchen Ärzten habe ich nicht gesprochen«, sagtest du nach kurzem Schweigen. »Ich dachte eher an einen Psychiater. Wir brauchen Hilfe.«
    Natürlich meintest du nicht uns, sondern mich. Aber wie konntest du nur annehmen, ich würde jemals zu einem Psychiater gehen? Vor Tabletten hatte ich keine Angst, denn davon hatte ich im Krankenhaus jede Menge bekommen und war dankbar gewesen, wenn sie mich eine Zeit lang betäubten. Um an Beruhigungsmittel zu gelangen, musste ich nur zu einem ganz normalen Hausarzt gehen, wohingegen ein Psychiater bedeutete, dass ich reden musste. Nicht nur über Joel, sondern auch über andere Dinge. Dinge, die besser im Verborgenen blieben. Dinge, die ich seit langer Zeit so tief in mir vergraben hatte, dass es schon mit dem Teufel zugehen müsste, ehe ich zuließ, dass ein anderer sie zutage förderte. Ich würde über meine Kindheit sprechen müssen, über Mum, Peter und Mrs Carron und Tante Rita.
    Ich würde von den Amseln erzählen müssen.
    Nichts dergleichen würde mir guttun. Joel war tot, und daran konnte keiner mehr etwas ändern. Selbst in meinen Träumen war ich allein und fühlte mich leer. Nicht einmal im Traum hielt ich meinen Jungen in den Armen.
    Aber du machtest dir Sorgen, und deshalb beschloss ich, dir zu zeigen, dass ich auch ohne Hilfe genesen würde. Nachdem du mich geküsst hattest und die Haustür hinter dir zugefallen war, holte ich die Putzmittel aus dem Besenschrank. Den Schrank hatte ich in der Woche vor Joels Geburt zum letzten Mal geöffnet, an dem Tag, als ich die ganze Wohnung geschrubbt hatte. Die Erinnerung nahm mir den Atem.
    Ich tat nur das Nötigste, nur so viel, dass du nachher Möbelpolitur und Chlor riechen und glauben würdest, ich hätte die ganze Wohnung geputzt. Ich hätte das Bettzeug wechseln müssen, doch das schaffte ich nicht mehr. Einen Schritt nach dem anderen, sagte ich mir, und mir fiel ein, dass es kein Wort für meinen Zustand gab. Hätte ich meinen Ehemann verloren, wäre ich jetzt Witwe, aber wie nennt man eine Frau, die ihr Kind verloren hat?
    Makellos sauber war nur das Kinderzimmer. Ich setzte mich wieder in den Schaukelstuhl, betrachtete das Bettchen und drückte den Teddybären mit dem Etikett »Für Kinder im Säuglingsalter« an mich, den ich in dem feinen Laden erstanden hatte. Ich weinte, denn dieser Raum war der schmerzlichste Ort für mich und dennoch der einzige, an dem ich sein wollte. Ich erinnerte mich an den Kauf des Bettchens aus Kirsche und daran, wie ich die zu langen

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