Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
Vom Netzwerk:
klar«, brummte er. »Aber was geschah davor?«
    »Eine riesige Spinne kam von der Decke und griff uns an, aber ich konnte sie mit meinem Messer vertreiben.« Sie hielt die scharfe Klinge mit dem hölzernen Heft kurz hoch und ließ sie wieder in den Stiefel gleiten. »Gut, dass ich keine Berja-Stunde versäumt habe.« Ihre Miene zeigte, wie stolz sie auf sich war. »Das Vieh hatte dich fast in den Krallen. Es hat über dir geschwebt, als könnte es sich nicht aufraffen, dich zu töten. Ich glaube, es wollte dich leben lassen, falls das einen Sinn ergibt. Wie skurril! Jedenfalls habe nicht allein ich dir geholfen, sondern auch ein, zwei Mitglieder einer Gang, denke ich. Sie haben die Spinne mit der Armbrust beschossen, bis sie sich nach oben ins Dunkle verzogen hat.«
    »Ich wusste nicht, dass du ein Messer trägst.«
    Sie wirkte plötzlich verlegen. »Das hab ich im Unterricht bekommen, vom Meister.«
    Jeryd lächelte betreten und rappelte sich mühsam hoch. Dann ging ihm ein Licht auf: Die Spinne, der er nachspürte, hatte es ihrerseits auf ihn abgesehen.
    Eine Spinne. Die es auf ihn abgesehen hatte.
    Mist!
    »Marysa, wir müssen gehen«, sagte er mit Nachdruck. Sie half ihm vom Mantellager und führte ihn durch die sich teilende Menge.
    Der erneute Gedanke an die Spinne ließ ihn laut seufzen, und Marysa umarmte ihn. Er konnte nicht glauben, dass jetzt sie die Harte von ihnen beiden war.
    »Marysa, wir müssen uns in Sicherheit bringen. Ich glaube, diese Spinne … hat es auf mich abgesehen.«
    Auf dem Heimweg erklärte er ihr, welcher Gefahr sie sich gegenübersahen, und sagte, sie müssten erneut umziehen – für den Fall der Fälle. Er schlug zwei gute Hotels vor. Noch in der Nacht packten sie ihre wichtigsten Habseligkeiten und verließen die Wohnung.
    Es war Jeryd nun restlos klar, dass er die Spinne würde fangen müssen, damit sie nicht ihn schnappte. Um ehrlich zu sein, fand er beide Möglichkeiten nicht sehr erhebend. Am Leben zu bleiben, war allerdings die vorzuziehende Variante. Also musste er sich seinen mächtigsten Ängsten stellen und eine Spinne fangen, die erheblich größer war als er.
    Genau genommen gab es unendlich viele Orte, an denen sich eine Riesenspinne verstecken konnte. Jede Nische einer Steinfassade, jedes Stück alte Regenrinne bot Anlass für Verfolgungsangst. Das machte es nur umso schwieriger, eine neue Bleibe auszuwählen.
    Eine verdammte Spinne.
    In all den Jahrzehnten der Arbeit für die Inquisition Villjamurs war Jeryd nie auf etwas zugleich so Lächerliches und so Beängstigendes gestoßen, doch er hatte in letzter Zeit gelernt, auch offenbar Unwahrscheinlichem nachzugehen, weil im weitgespannten Kaiserreich nichts unmöglich war.
    Sie fanden ein Hotel, das noch offen war und schlechte Teppiche und altmodische Vorhänge besaß, doch Jeryd war erbost, für ein Zimmer mehr als das Übliche zu zahlen. Überall gab es wegen des Kriegs leere Flure und freie Zimmer, doch der Nachtportier ließ nicht mit sich handeln. Diese Halsabschneiderstadt …
    »Für diesen Preis erwarte ich aber ein ausgezeichnetes Frühstück«, knurrte Jeryd und klatschte Münze für Münze auf den Tresen.

KAPITEL 34
    N ach einer schlaflosen Nacht beschloss Jeryd, am Hafen spazieren zu gehen, um einen klaren Kopf und etwas Abstand zu den Ereignissen zu bekommen. Es schien ein ruhiger Tag zu werden: Die lichten Wolken standen hoch, und ausnahmsweise wehte kein Wind, sodass es stechend nach Seetang, Fisch und Fischereiabfällen roch. Nur die Rufe von Soldaten oder das Vernageln von Fenstern störten ab und an den Frieden. Auf den Hügeln links und rechts der Stadt waren Soldaten auf provisorischen Holzwachtürmen postiert, und Garuda-Patrouillen schwebten am Himmel. Villiren war eine bewachte Stadt.
    Jeryd hatte kürzlich entdeckt, dass der Hafen trotz der starken Militärpräsenz zu seinen Lieblingsorten gehörte. Die Soldaten gaben Port Nostalgia eine fatalistische Anmutung: Das Ende schien nah. Und doch konnte er hier aufs Meer sehen und jedes Zeitgefühl verlieren. Da er nirgendwohin fliehen konnte, blieb ihm nur die Rückschau in die Vergangenheit. Erinnerungen kamen und gingen.
    Einige Bistros machten glänzende Geschäfte damit, dienstfreie Soldaten zu bedienen, und Jeryd kam zu dem Schluss, ein Tee wäre zu dieser Vormittagsstunde genau das Richtige, um endlich wach zu werden.
    Händler waren unterwegs zu den Basaren der Innenstadt, und dick eingepackte Rumel und Menschen, deren Atem im Frühlicht wie

Weitere Kostenlose Bücher