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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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was ich dort sah.
    Sie küßte mich.
    Diese schlichte Geste, mir dem Mund entgegenzuheben, war ein Zeichen. Es gab kein Zurück mehr. Kein Abwägen von Richtig oder Falsch, kein Zögern und Zaudern, wir gaben uns gegenseitig schrankenlos freie Hand. Zusammen tasteten wir uns vor, in dieses Neue, Fremde, und ich kann mir keine tiefere Verbundenheit denken, als unser gemeinsames Lernen uns bescherte. Für uns beide war dieses Mal das erste Mal, wir erlebten es ungeprägt von Erwartungen oder Erinnerungen an andere. Ich hatte nicht mehr Recht auf sie als sie auf mich, aber ich gab und ich nahm, und ich schwöre, ich werde es bis an mein Lebensende nicht bereuen. Die Erinnerung an die süße Unbeholfenheit jener Nacht ist das kostbarste Gut meiner Seele. Meine zitternden Finger verwirrten das Band am Nackenverschluß ihres Nachtgewandes zu einem hoffnungslosen Knoten. Molly berührte mich wie eine Wissende, nur um mit einem scharfen Atemzug ihre Überraschung zu verraten, als sie mein Begehren spürte. Es war nicht wichtig. Ein Wissen, älter als wir, leitete uns. Ich bemühte mich, gleichzeitig sanft und stark zu sein, und erlag der Stärke und Sanftheit der Frau, der Zauberin.
    Ein Tanz. Ein Kampf. Manche Männer sprechen davon mit einem wissenden Lachen, andere mit einem schmutzigen Grinsen. Ich habe die drallen Marktfrauen darüber glucksen gehört wie Hennen über hingestreuten Brotkrumen. Ich bin von Zuhältern bedrängt worden, die ihre Waren anpriesen wie Händler frischen Fisch. Was mich selbst angeht, ich glaube, für manche Dinge gibt es keine Worte. Die Farbe Blau kann man nur erfahren, wie auch den Duft von Jasmin, den Klang einer Flöte. Die Linie einer entblößten Schulter, die einzigartig feminine Weichheit einer Brust, der unwillkürliche Laut der Überraschung, wenn alle Widerstände plötzlich überwunden sind, der Duft ihrer Kehle, der Geschmack ihrer Haut, sind alles nur Details, und wenn auch unendlich wertvoll, ergeben sie dennoch kein Bild des Ganzen. Tausend solcher Einzelheiten vermöchten es nicht zu beschreiben.
    Die Scheite im Kamin zerfielen zu roter Glut, längst waren die Kerzen niedergebrannt und erloschen. Wir ruhten geborgen an einem Ort, den wir als Fremde betraten, um ihn als unser ureigenstes Reich zu erkennen. Ich glaube, ich hätte mit Freuden den Rest der Welt fahren lassen, nur um in dem wohligen Nest aus zerwühlten Decken und Federkissen liegenzubleiben und ihre warme Ruhe einzuatmen.
    Bruder, das ist gut.
    Ich zuckte zusammen wie von der Tarantel gestochen und riß Molly aus ihrem versonnenen Dahindämmern. »Was ist?«
    »Ein Krampf im Unterschenkel«, log ich. Sie glaubte mir und lachte. Eine harmlose Flunkerei, doch plötzlich schämte ich mich der Lüge, aller Lügen, die ich je ausgesprochen, und aller Wahrheiten, die ich nicht ausgesprochen und dadurch in Lügen verkehrt hatte. Ich öffnete den Mund, um ihr alles zu gestehen. Daß ich der königliche Assassine war, der Meuchelmörder im Dienst der Krone. Daß das Wunder dieser Nacht von einem Dritten geteilt worden war, von meinem Bruder, dem Wolf. Daß sie sich rückhaltlos einem Mann hingegeben hatte, der andere Menschen tötete und dessen engster Freund ein Tier war.
    Undenkbar. Ihr dies alles zu offenbaren würde sie verletzen und beleidigen. Sie würde sich für alle Zeit beschmutzt fühlen von meiner Berührung. Ich redete mir ein, ich könnte ertragen, daß sie vor mir Ekel empfand, aber nicht vor sich selbst. Ich redete mir ein, daß ich meine Lippen zusammenpreßte, weil es rücksichtsvoller war; diese Geheimnisse für mich zu behalten war besser, als Gefahr zu laufen, daß die Wahrheit ihr Leben zerstörte. Ob ich mich damit selbst belog?
    Tun wir das nicht alle?
    Ich lag dort, umschlungen von ihren Armen, genoß die Wärme und Weichheit ihres an mich geschmiegten Körpers und gelobte mir, ich würde mich ändern. Wenn ich kein Assassine mehr war und nicht mehr Bruder eines Wolfs, brauchte ich ihr nichts zu gestehen. Morgen, morgen würde ich Chade und Listenreich sagen, daß ich nicht länger gewillt war, für sie zu töten. Morgen würde ich Nachtauge begreiflich machen, warum wir nicht länger verbunden sein konnten. Morgen.
    Doch heute, an diesem Tag, der bereits zu dämmern begann, mußte ich mit dem Wolf zur Seite aus der Burg gehen, um Jagd auf Entfremdete zu machen und sie zu töten. Weil ich mit der Meldung eines Erfolgs vor den König hintreten wollte, um ihn gnädig zu stimmen, denn ich war

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