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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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mit Zukunft und mußte auf einmal erfahren, daß ich nichts besaß als Schulden. Oder glaubst du, daß ich von den Schulden meines Vaters wußte und den Dingen einfach ihren Lauf gelassen habe? Erst nachdem er unter der Erde war, klopften die Gläubiger an die Tür. Ich verlor alles. Hätte ich als Bettlerin zu dir kommen sollen, in der Hoffnung, daß du mich aufnimmst? Ich glaubte, daß du etwas für mich empfindest. Ich dachte, du wolltest… Verflucht, weshalb erzähle ich dir das alles?« Ihre Worte prasselten auf mich nieder wie ein Steinhagel. Ihre Augen loderten, ihre Wangen waren gerötet. »Ich dachte, du hättest die Absicht, mich zu heiraten, mit mir zusammen eine Zukunft aufzubauen. Dazu wollte ich etwas beitragen, nicht ohne einen Pfennig zu dir kommen. Was ich mir alles ausgemalt habe! Wir in einem kleinen Laden, ich mit meinen Kerzen und Kräutern, du mit deinen Fähigkeiten als Schreiber… deshalb bin ich zu meinem Vetter gegangen, um Geld zu borgen. Er hatte selbst nichts übrig, brachte mich aber nach Syltport, um mit seinem älteren Bruder Flint zu sprechen. Ich habe dir erzählt, was daraus geworden ist. Die Rückfahrt mußte ich mir auf einem Fischkutter erarbeiten, Fische ausnehmen und in Salz legen. Ich kam nach Burgstadt wie ein getretener Hund. Mit Mühe schluckte ich meinen Stolz herunter und kam hier herauf, nur um festzustellen, wie dumm ich gewesen war, wie du mich getäuscht und belogen hast. Du bist ein Bastard, Neuer, wirklich und wahrhaftig.«
    Einen Moment lauschte ich ratlos einem merkwürdigen Geräusch und versuchte zu begreifen, was es war. Dann verstand ich. Sie weinte, mit kurzen abgerissenen Schluchzern. Hätte ich es gewagt, aufzustehen und zu ihr zu gehen, wäre ich auf die Nase gefallen – oder sie hätte mich zu Boden gestoßen. So plump, wie von einem Betrunkenen zu erwarten, wiederholte ich: »Nun, wie war das mit Jade? Weshalb fiel es dir so leicht, mit ihm zu gehen? Weshalb bist du nicht erst zu mir gekommen?«
    »Ich habe dir doch gesagt – er ist mein Vetter, du Schwachkopf!« Der Zorn brachte ihre Tränen zum Versiegen. »In der Not wendet man sich an die Familie. Ich bat ihn um Hilfe, und er brachte mich zum Hof seines Bruders, um bei der Ernte zu helfen.« Ein kurzes Schweigen, dann, ungläubig: »Was hast du geglaubt? Ich wäre die Sorte Frau, die heimlich noch einen zweiten Verehrer hat?« Frostig: »Daß ich dich ermutigen würde, um mich zu werben, und gleichzeitig einem anderen schöne Augen mache?«
    »Nein. Das habe ich nicht gesagt.«
    »Aber natürlich hast du das geglaubt.« Sie sagte es, als wäre plötzlich alles ganz klar. »Du bist wie mein Vater. Er hat immer geglaubt, ich lüge, weil er selbst so viele Lügen erzählte. Genau wie du. ›Oh, ich bin nicht betrunken‹, wenn du nach Wein stinkst und kaum aufrecht stehen kannst. Und dein albernes Gerede: ›Ich habe geträumt, du wärst in Syltport‹. Die ganze Stadt wußte, daß ich nach Syltport gegangen war. Wahrscheinlich hast du die ganze Geschichte heute abend in irgendeiner Taverne gehört.«
    »Nein, habe ich nicht. Molly, du mußt mir glauben.« Auf der Suche nach irgendeinem Halt krallte ich die Hände in die Bettdecken. Sie hatte mir den Rücken zugekehrt.
    »Ich muß dir nicht glauben. Ich muß niemandem mehr irgend etwas glauben.« Sie schwieg und schien über etwas nachzudenken. »Weißt du, früher, vor langer Zeit, als ich ein kleines Mädchen war. Noch bevor wir uns begegnet sind.« Ihre Stimme klang merkwürdig tonlos, aber wieder völlig gelassen. »Es war am Frühlingsfest. Ich erinnere mich, wie ich meinem Vater um ein paar Heller für die Jahrmarktsbuden bat und wie er mich ohrfeigte und sagte, er würde kein Geld für solchen Unfug verschwenden. Dann schloß er mich im Laden ein und ging, um sich zu betrinken. Doch schon damals hatte ich meine Schlupflöcher. Ich ging also trotzdem zu den Buden hinunter, um sie mir anzusehen. In einer saß ein alter Mann, der mit einem Kristall die Zukunft vorhersagte. Du weißt, wie sie es machen. Sie halten den Kristall an eine Kerzenflamme und deuten dein Schicksal danach, wie die Farben über dein Gesicht fallen.« Sie sah mich an.
    »Ich weiß«, sagte ich und nickte. Ich kann die Sorte Heckenzauberer, die sie meinte, und hatte die farbigen Lichter über das selbstvergessene Gesicht einer Frau spielen gesehen. Was ich mir jetzt mehr als alles andere zu sehen wünschte, klar und deutlich, war Mollys Gesicht. In meinen Augen mußte sie

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