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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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war ein weiteres Brett in der Brücke des Vertrauens zwischen uns. Es war eine Entwicklung, die ich nicht begrüßte. Ich gab mir Mühe, kein Gefühl der Zuneigung zu meinem Pflegling aufkommen zu lassen, so wenig wie möglich durch die alte Macht mit ihm zu kommunizieren. Meine Sorge war, er könnte die Wildheit verlieren, die er brauchte, um in Freiheit zu überleben. Immer wieder warnte ich ihn: »Du mußt dich verborgen halten. Jeder Mensch ist dein Feind, erst recht jeder Hund. Du mußt in diesem Gebäude bleiben und still sein, wenn jemand in die Nähe kommt.«
    Anfangs fiel es ihm leicht zu gehorchen. Er war erbarmungswürdig abgemagert und stürzte sich heißhungrig auf das Futter, das ich ihm brachte. Meistens lag er schon schlafend auf seinem Strohbett, bevor ich die Kate verließ, oder beäugte mich eifersüchtig über einen besonders schmackhaften Knochen hinweg, an dem er nagte.
    Doch gute Ernährung, Bewegungsfreiheit und wachsendes Zutrauen hatten zur Folge, daß die angeborene Verspieltheit des Welpen wieder hervorbrach. Sobald ich die Tür öffnete, sprang er mich übermütig an, oder er zeigte sein Freude über mitgebrachte Knochen, indem er sich wonnevoll knurrend darin verbiß und sie hin und her schüttelte wie eine Beute. Wenn ich ihn schalt, weil er zu laut gewesen war oder wegen der Spuren, die seinen nächtlichen Ausflug auf die verschneite Wiese hinter der Kate verrieten, duckte er sich vor meinem Unmut.
    Doch ich bemerkte bei diesen Gelegenheiten sehr wohl die lauernde Wildheit in seinen Augen. Er hatte sich nicht unterworfen, sondern beugte sich vorläufig dem Rudelführer, bis zu dem Tag, an dem er wieder frei war, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Für mich eine schmerzliche Erkenntnis, auch wenn der Verstand mir sagte, es war richtig so. Ich hatte von Anfang an die feste Absicht gehabt, ihn in die Freiheit zu entlassen. In ein paar Monaten sollte er nur einer von den namenlosen Wölfen sein, die in der Ferne den Mond anheulten. Das sagte ich ihm immer wieder. Zuerst verlangte er zu wissen, wann er die nach Mensch riechende Behausung und den hohen Ring aus Steinen, der sie umgab, verlassen durfte. Bald, versprach ich ihm, sobald er seine Kraft zurückgewonnen hatte, sobald der Schnee nicht mehr so hoch lag und er für sich selbst sorgen konnte. Doch als die Wochen vergingen, die Stürme draußen ihm die Geborgenheit seines Strohlagers bewußt machten und das gute Fleisch seine Knochen polsterte, fragte er weniger oft. Manchmal vergaß ich, ihn zu erinnern.
    Einsamkeit zehrte an mir. Nachts lag ich wach und fragte mich, was geschehen würde, wenn ich die Treppe hinaufschlich und an Mollys Tür klopfte. Bei Tag mußte ich mich beherrschen, um nicht eine zu enge Bindung mit dem Tier einzugehen, für das ich die Verantwortung trug. Es gab in der Burg nur ein einziges Lebewesen, das so einsam war wie ich.
     
    »Ich bin sicher, du wüßtest Besseres zu tun. Weshalb kommst du jeden Tag, um mich zu besuchen?« fragte Kettricken mich in der unverblümten Art der Bergbewohner. Es war später Vormittag, nach einer sturmdurchtosten Nacht. Schnee fiel, und Kettricken hatte befohlen, die Fensterläden zu öffnen, damit sie dem lautlosen Herabsinken der dicken Flocken zusehen konnte. Ihr Nähzimmer bot einen ungehinderten Ausblick über das Meer, und ich glaubte, sie wäre fasziniert von der endlosen Weite und dem ruhelosen Auf und Ab der Wellen. Ihre Augen hatten an jenem Tag fast dieselbe Farbe wie das Wasser.
    »Ich möchte helfen, Euch die Zeit zu vertreiben, Hoheit.«
    »Die Zeit vertreiben.« Sie seufzte, stützte das Kinn auf die Hand und schaute sinnend in das Schneetreiben hinaus. Der Wind spielte in ihrem flächsernen Haar. »Seltsam, eure Sprache. Ihr redet von der Zeit, als wäre sie ein Übel, von dem man sich befreien müßte. Wie ein Leibeswind.«
    Ihre kleine Zofe Rosemarie, die ihr zu Füßen saß, kicherte hinter vorgehaltener Hand. Die zwei Hofdamen hinter uns lachten zwitschernd und beugten dann wieder die Köpfe über ihre Nadelarbeit. Kettricken hatte für sich einen großen Stickrahmen aufgestellt, mit den Anfängen von Bergen und einem Wasserfall, aber die Arbeit war noch nicht weit fortgeschritten. Die übrigen Frauen waren heute nicht erschienen, sondern hatten Pagen geschickt, um sich entschuldigen zu lassen. Zumeist mit Kopfschmerzen, es schien sich um eine wahre Epidemie zu handeln. Kettricken begriff offenbar nicht, daß man sie mit diesem Verhalten beleidigte. Ich

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