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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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wußte nicht, wie es ihr erklären, und an manchen Tagen fragte ich mich, ob ich es erklären sollte. Heute war einer dieser Tage.
    Ich setzte mich bequemer hin und schlug ein Bein über das andere. »Ich wollte damit nur sagen, daß Bocksburg im Winter ein ziemlich langweiliger Ort sein kann. Das Wetter hält uns hinter den Mauern fest, und es gibt wenig Zerstreuung.«
    »Auf der Werft herrscht kein Mangel an Zerstreuung«, wandte sie ein. Ihre Augen bekamen einen merkwürdig hungrigen Blick. »Dort herrscht emsige Geschäftigkeit. Bis zum letzten wird das Tageslicht ausgenutzt, um die Spanten zu setzen und die Planken zu biegen. Auch an dunklen Tagen oder bei Sturm sind die Schiffsbauer in den Schuppen damit beschäftigt, Holz zu sägen, zu behauen und zu glätten. An den Schmiedefeuern entstehen Ketten und Anker. Starke Leinwand für die Segel wird gewebt, zugeschnitten und genäht. Und Veritas ist immer dabei, gibt Anweisungen und sieht nach dem Rechten. Während ich hier bei unnützer Tändelarbeit sitze, mir die Finger zersteche und mir beim Schauen auf die kleinen Dinge die Augen verderbe, bis ich den Blick für das Große verliere. Und nur, damit das fertige Werk mit anderem nutzlosen Zierat in die Ecke gestellt wird.«
    »Oh, nicht in die Ecke gestellt, niemals, Hoheit«, meldete sich eine der Hofdamen eifrig zu Wort. »Eure Nadelarbeit ist als Geschenk hochgeschätzt. In Shoaks hängt ein gerahmtes Stück in Lord Shemshys Privatgemächern, und Herzog Kelvar von Rippon…«
    Kettrickens Aufseufzen unterbrach die Lobeshymne. »Lieber möchte ich ein Segel nähen, mit dem Pfriem und der großen eisernen Nadel, um eines der Schiffe meines Gemahls zu schmücken. Eine solche Arbeit wäre meiner Zeit würdig, und damit könnte ich seine Achtung gewinnen. Statt dessen gibt man mir Spielzeug, um mich zu beschäftigen, wie einem verwöhnten Kind, das den Wert sinnvoll verbrachter Zeit nicht zu schätzen weiß.« Sie wandte sich wieder dem Fenster zu, und ich bemerkte, daß der Rauch von der Werft vor dem Panorama des Meeres aufstieg. Vielleicht hatte ich mich in der Richtung ihrer Aufmerksamkeit geirrt.
    »Soll ich Tee und Kuchen bringen lassen, Hoheit?« erkundigte sich eine der Frauen hoffnungsvoll. Beide hatten ihre Schals um die Schultern gezogen. Kettricken schien den kalten Luftzug nicht zu spüren, der zum Fenster hereinwehte, doch für ihre Gesellschafterinnen konnte es kaum angenehm sein, sich frierend ihrer Handarbeit widmen zu müssen.
    »Wenn Ihr das Bedürfnis verspürt«, antwortete Kettricken gleichgültig. »Ich habe weder Hunger noch Durst. Vielmehr fürchte ich, fett zu werden wie eine Mastgans. Ich sehne mich danach, etwas Nützliches zu tun. Sag mir die Wahrheit, Fitz. Wenn du dich nicht verpflichtet fühltest, mir Gesellschaft zu leisten, würdest du müßig in deinen Gemächern sitzen? Oder dir mit irgendwelchem Schnickschnack die Zeit vertreiben?«
    »Nein. Aber ich bin auch nicht die Königin-zur-Rechten.«
    »Die Königin-zur-Rechten.« Eine ungewohnte Bitterkeit schlich sich m ihre Stimme. »Königin… Wie du weißt, sagen wir in meinem Land nicht Königin. Wäre ich jetzt dort und herrschte an meines Vaters Stelle, hieße ich ›das Opfer‹. Mehr noch, ich wäre das Opfer. Zum Besten meines Reiches und meiner Untertanen.«
    »Wärt Ihr dort, mitten im Winter, was würdet Ihr tun?« Meine Absicht war, dem Gespräch eine erfreulichere Wendung zu geben. Ein Fehler, wie sich herausstellte.
    Sie schwieg und starrte aus dem Fenster. »In den Bergen«, sagte sie versonnen, »war nie Zeit, die Hände in den Schoß zu legen. Ich war natürlich die jüngere, und die meisten der Pflichten des Opfers entfielen auf meinen Vater und meinen älteren Bruder. Doch wie Jonqui sagt, es gibt immer Arbeit genug für alle und mehr. Hier in Bocksburg wird alle Arbeit von Dienern getan, unsichtbar, und man sieht nur das Ergebnis – das aufgeräumte Zimmer, die Speisen auf dem Tisch. Vielleicht, weil hier so viele Menschen sind.«
    Ihr Blick verlor sich in der Ferne. »In Jhaampe herrscht im Winter Stille. Der Schnee liegt hoch, und große Kälte überzieht das Land. Die kleineren Wege sind verschwunden. Räder werden durch Läufer ersetzt. Besucher der Stadt sind längst nach Hause zurückgekehrt. Im Palast in Jhaampe sind nur die Familie und solche, die beschlossen haben, zu bleiben und zu helfen. Nicht als Diener, nein. Du bist in Jhaampe gewesen. Du weißt, dort gibt es niemanden, der nur dient, ausgenommen

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