Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Was wird dann aus all den Prophezeiungen? Du mußt deinen eigenen Weg finden, Katalysator.«
Der Narr schlug die Augen auf und schaute mich gedankenverloren an; dann schloß er sie wieder, und sein Kopf fiel an meine Schulter. Er wurde mir allmählich zu schwer, und ich wollte unbedingt herausfinden, was mit ihm nicht stimmte. Merle tauchte hinter Krähe auf, die Arme voll nasser Wäsche. Ich wandte mich ab und schlug den Weg zum Lager ein. Als ich an Krähe vorbeikam, sagte ich: »Vielleicht ist das der Grund, weshalb du hier bist. Vielleicht wurdest du hergeführt, weil du eine Rolle zu spielen hast, die möglicherweise darin besteht, unsere Unwissenheit zu erleuchten, damit wir diese deine vermaledeite Prophezeiung erfüllen. Und durch dein Schweigen verhinderst du es. Aber«, ich blieb stehen und warf die Worte heftig über die Schulter, »ich glaube, du schweigst aus gutem Grund. Nämlich, weil du dich schämst!«
Bei dem Ausdruck der Bestürzung auf ihrem Gesicht schlug mir das Gewissen. Ich drehte mich um und ging weiter. Aber es tat mir nicht leid, nein, denn der schwelende Trotz verhalf mir zu einer plötzlichen Entschlossenheit. Ich würde alle dazu bringen, daß sie sich benahmen, wie sie sollten! Diese kindische Sturheit hatte mich schon in der Vergangenheit mehrfach in Schwierigkeiten gebracht, doch wenn sie sich erst einmal in mir festgesetzt hatte, kam ich nicht mehr dagegen an.
Ich trug den Narren in die Jurte und legte ihn auf seine Decken. Dann machte ich den Ärmel eines bereits anderweitig verstümmelten Hemdes naß und legte ihn auf seinen Hinterkopf. Als die Blutung nachließ, untersuchte ich die Verletzung. Es war eine Platzwunde, nicht groß, aber darunter bildete sich eine respektable Schwellung. Ich war noch immer der Ansicht, daß er nicht deswegen die Besinnung verloren hatte. »Narr?« fragte ich halblaut, dann drängender: »Narr?« Ich spritzte ihm Wasser ins Gesicht, und er schlug die Augen auf. »Narr?«
»Schon gut, Fitz«, sagte er mit schwacher Stimme. »Du hattest recht. Ich hätte sie nicht berühren dürfen. Aber ich habe es getan, und ich werde es nie vergessen können.«
»Was ist passiert?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann noch nicht darüber sprechen.«
Ich sprang auf, stieß mit dem Kopf gegen das Jurtendach und hätte fast das gesamte Gerüst zum Einsturz gebracht. »Niemand in dieser gesamten Gesellschaft kann je über irgend etwas sprechen!« beschwerte ich mich aufgebracht. »Außer mir. Und ich werde es tun!«
Als ich hinausstürmte, schaute mir der Narr, auf einen Ellbogen gestützt, hinterher. Ob belustigt oder verdutzt, wußte ich nicht zu sagen, und es war mir auch gleich. Draußen stieg ich über die Schutthügel zu dem Sockel hinauf, wo Veritas an seinem Drachen arbeitete. Kettricken saß bei ihm, hohläugig und stumm. Keiner von beiden schenkte mir die geringste Beachtung.
Ich blieb erst einmal stehen, kämmte mir mit allen zehn Fingern das Haar aus dem Gesicht, band meinen Kriegerzopf neu, klopfte mir die Hose ab und zog mein nicht mehr unbedingt präsentables Hemd glatt. Ich trat drei Schritte vor. Meine förmliche Verbeugung schloß Kettricken mit ein.
»König Veritas, Königin Kettricken, ich bin gekommen, um meinen Rapport zu beenden, wenn Ihr erlaubt.«
Ich war darauf vorbereitet gewesen, auch jetzt nicht zur Kenntnis genommen zu werden; aber das Kratzen hörte auf. Veritas blickte mich über die Schulter an. »Sprich weiter, Fitz. Ich werde nicht aufhören zu arbeiten, aber ich höre zu.«
In seiner Stimme lag eine ernste Höflichkeit, die mir Mut machte. Kettricken richtete sich plötzlich auf und strich sich das ungebärdige Haar aus den Augen. Dann bekundete sie mir mit einem Kopfnicken auch ihr Einverständnis. Ich holte tief Atem und berichtete alles, was ich seit meinem Besuch in der Ruinenstadt gesagt oder getan hatte. Irgendwann während des langen Vortrags wurde das Kratzen der Schwertklinge langsamer und hörte schließlich ganz auf. Veritas ließ sich schwerfällig neben Kettricken nieder. Er machte eine Bewegung, als wolle er nach ihrer Hand greifen, besann sich dann aber und faltete seine silbernen Hände im Schoß. Kettricken hatte die kleine Geste bemerkt und rückte ein wenig dichter an ihn heran. Sie saßen Seite an Seite, meine Bettelmonarchen, auf einem Thron aus schwarzem Fels, als Rückenlehne einen steinernen Drachen, und hörten mir zu.
Nach und nach fanden sich auch die anderen ein. Erst der Wolf, dann der Narr
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