Die Legende von Shannara 01 - Brooks, T: Legende von Shannara 01
Wartezeit ein.
Zwei Stunden später fanden die hektischen Aktivitäten und das Stimmengewirr langsam ein Ende und auch der Regen hatte aufgehört. Dafür jedoch herrschte tiefe Dunkelheit, als Inch durch einen kleinen Spalt in den Zeltklappen nach draußen schaute. Unmittelbar davor standen seine Wachen; sie wirkten gelangweilt und schienen sich in ihren Unwetterumhängen nicht sonderlich wohl zu fühlen. In der Finsternis war nur wenig Bewegung zu erkennen; die meisten Fackeln waren erloschen, und die Trolle schliefen. Er durfte nicht länger warten. Er konnte es sich nicht erlauben, die Rückkehr von Arik Siq abzuwarten, und der Troll konnte jederzeit auftauchen. Es wäre ihm zwar lieber gewesen, wenn außer den Wachen alle anderen geschlafen hätten, aber wenn man auf einer Rettungsmission war, lief eben nicht immer alles ideal.
Er rief einen der Wächter ins Zelt und bat ihn um einen Umhang, um sich zuzudecken, und einen zweiten, um sich darauf zu legen. Der Troll, der den Befehl hatte, Inch zu geben, wonach er verlangte, fing gar nicht erst irgendwelche Diskussionen an. Er ging fort und kehrte mit zwei Regenumhängen zurück. Sobald er wieder draußen Posten bezogen hatte, konstruierte Inch aus Säcken eine Figur etwa seiner Größe und bedeckte sie mit einem der Umhänge. Dann ging er zur Rückseite des Zeltes, schnitt mit seinem langen Messer einen Schlitz hinein, zog sich den zweiten Umhang über, setzte die Kapuze auf, spähte hinaus, ob die Luft rein war, und trat vorsichtig ins Freie.
Mit seiner Hand umschloss er den Empfänger für das Signal des Gerätes zur Positionsbestimmung, das er an der Kleidung des Mädchens befestigt hatte, als es ihn umarmte. Ein kleines rotes Lämpchen blinkte schwach mit beständigem Puls. Es würde umso schneller und heller blinken, je näher er der Kleinen kam. Das Licht würde ihn direkt zu ihr führen.
Hoffte er jedenfalls.
Er war zwar ein ausgesprochen hünenhafter Mensch, doch unter diesen ebenfalls recht kräftig gebauten Trollen fiel er nicht so auf, wie das andernorts vielleicht der Fall gewesen wäre. Der Umhang und die tief in die Stirn gezogene Kapuze verbargen sein Gesicht, und das Wetter und die Dunkelheit verringerten die Sicht fast auf Null. Niemand schenkte ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit, als er durchs Lager schlenderte, weil alle mit ihren eigenen Angelegenheiten befasst waren und die meisten ohnehin vor dem erneut und heftig einsetzenden Regen in die Zelte geflohen waren. Niemand hielt ihn auf, niemand sprach ihn an. Er war einfach nur ein weiterer, dunkler Troll im Regen.
Inch blickte kurz auf den Empfänger, um sich zu vergewissern, dass das Signal weiterhin stärker wurde und er immer noch in der richtigen Richtung unterwegs war. Das Blinken bestätigte es ihm. Er spürte, wie sich die altbekannte Erregung in ihm ausbreitete. Er überließ sich ihrem berauschenden Ansturm und hieß sie willkommen wie einen alten Freund.
Erneut überprüfte er das Signal. Es blinkte schnell. Das Mädchen musste sich direkt vor ihm befinden.
Im Regen sah er eine Wache vor dem Zelteingang, die ihm verriet, dass sich die Kleine dort befand. Keine Fackeln erhellten den Eingang, und auch im Inneren des Zeltes brannte kein Licht. Nichts erregte Aufmerksamkeit, nichts außer der einsamen Trollwache ließ dieses Zelt wie etwas Besonderes aussehen. Er schaute wieder zum Signal hinunter. Das Licht blinkte noch schneller. Keine Frage… er hatte sie gefunden.
Er ging auf das Zelt und die Wache zu.
Doch plötzlich fiel ihm eine kleine Ausbuchtung an der Zeltplane ins Auge, und er änderte sofort die Richtung. Es konnte natürlich der Wind sein, der ins Zelt blies. Genauso gut jedoch konnte etwas von innen gegen den Stoff drücken. Aber was es auch war, es gefiel ihm nicht. Sein Instinkt meldete sich schlagartig, eine Art innerer Alarm, auf den er im Laufe der Jahre zu hören gelernt hatte. Solchen Warnungen verdankte er, dass er noch am Leben war.
Er ließ das Zelt links liegen, schlug einen Kreis darum herum und näherte sich ihm von hinten. Er war noch ein Paar Dutzend Meter entfernt, als er neben einem Gestell voller Speere Halt machte. In der Dunkelheit und dem Regen musterte er das Zelt und überlegte, wie er vorgehen sollte. Das Mädchen mit einem direkten Angriff durch die Zeltklappe herauszuholen kam ihm nicht mehr sonderlich klug vor. Er brauchte einen anderen Plan, einen, der ihm Aufschluss darüber gab, was sich noch in dem Zelt befand. Denn inzwischen
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