Die Legende von Skriek 1 - Das Attentat
Man muss diese Stadt selbst sehen, um zu begreifen, wie einzigartig und gewaltig sie ist.«
»Warum warst du in Yestshire?«
Kathinka wendet ihren Blick dem Lagerfeuer zu, wo Basola soeben ein weiteres Stück Ochsenfleisch zum Grillen bereit macht. »König Angrias hat mich ein paar Mal nach Yestshire geschickt. Es ist die reichste Handelsstadt Euptoniens und es gab ständig Botschaften und Aufträge, die ich erledigen musste.«
»Warum hat Angrias eigentlich Yestshire noch nicht erobert, wenn es doch so reich ist?«
»Nun, Skriek, ich vermute, dass es selbst für Angrias kaum möglich ist, Yestshire zu erobern.«
»Wieso? Auch wenn Yestshire eine riesige Stadt ist, so ist sie eben doch nur eine Stadt. Angrias hat ganze Königreiche erobert.«
»Yestshire ist die Stadt der Gilden.« Kathinka wendet den Blick vom Feuer ab und wieder mir zu. »Es gibt die Gilden der Händler und Kaufleute, der Schmiede und Tischler, der Maurer und Ofensetzer. Ganz Yestshire wird von unzähligen Gilden regiert.«
»Ja, und?«
»Es gibt aber nicht nur die ehrenwerten Gilden der Handwerker und Verkäufer.« Sie streicht eine dunkle Haarsträhne zurück. »In Yestshire leben auch die Gilden der Diebe und Meuchelmörder, ebenso die Gilden der Giftmischer und Magier. Was glaubst du, wie lange Angrias überleben würde, wenn bekannt wird, dass er einen Angriff auf Yestshire plant? Er wäre seines Lebens nicht mehr sicher.«
»Angrias hat, das hast du mir selbst erzählt, stets einen Schutzwall aus Hexern und Gardesoldaten um sich herum. Ich denke also, er ist ganz gut beschützt.«
»Du solltest die Gilde der Giftmischer und Meuchelmörder nicht unterschätzen.«
»Hm.« Ich kratze mit der spitzen Kralle meines Zeigefingers eine Schuppe in meinem Gesicht. »Warum bezahlen denn nicht Erik Anfohrrnus und deine Amazonenkönigin diese Gilden? Das würde uns allen viel Arbeit ersparen.«
Sincha, die mein Gespräch mit Kathinka mitgehört hat, verzieht ihr Gesicht zu einem spöttischem Grinsen. »Skriek, du hast wie üblich keine Ahnung.«
»Dann kläre mich auf, Heerführerin.«
»Erik Anfohrrnus mag ja ein mächtiger Zauberer sein, aber er ist ganz sicher alles andere als ein reicher Mann«, schnarrt Sincha. »Amazonien ist ein wunderschönes Land, meiner Meinung nach sogar das Schönste der Welt, aber es verfügt leider nicht über die Gelder, die benötigt werden, damit die Gilden der Meuchelmörder und Giftmischer bereit wären, sich ausgerechnet gegen Angrias zu stellen.«
»Wenn sich aber Angrias gegen Yestshire erheben würde«, ergänzt Kathinka, »dann würde kein Giftmischer oder Meuchelmörder auch nur einen Augenblick zögern, Angrias zu ermorden. Du musst wissen, Skriek, es gibt hunderte von Meuchelmördern und Giftmischern in Yestshire. Angrias wird sich hüten, sie alle gegen sich aufzubringen.«
Ich werfe einen kleinen Zweig in das Feuer. »Das heißt dann wohl, dass wir die einzigen sind, die dumm genug sind, Angrias töten zu wollen.«
»So ist es«, bestätigt Sincha.
Mehrere Stunden später sitzen wir immer noch am Lagerfeuer. Kathinka lehnt weiterhin ihren Kopf an meine Schulter und ich kann im tanzenden Licht der Flammen ihr Gesicht sehen. Es wirkt entspannt und friedlich, aber ich weiß, dass der Anblick täuscht. Kathinka macht sich Sorgen, nicht nur wegen Romaldo allein. Sie befürchtet auch, dass uns bald wieder irgendwelche dunklen Boten entdecken könnten, jetzt, wo wir derart langsam durch die Lande ziehen. Sie hat das zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber ich kenne sie mittlerweile zu gut, um nicht zu wissen, was in ihrem hübschen Kopf vor sich geht. Sanft lege ich meinen linken Arm um ihre Schulter und werfe ihr ein Lächeln zu. Seit gestern Nacht, da bin ich mir sicher, verstehe ich sie noch besser. Wir haben uns zum ersten Mal richtig geküsst. Ihre weichen, vollen Lippen sind für einen wunderschönen, wenn auch nur kurzen Moment auf den meinen gelegen. Mein Herz hat bis zum Hals geschlagen und ich habe innerlich jubiliert. So zärtlich ist ihr Kuss gewesen, dass er meine Seele berührt hat. Ich bin völlig überrascht gewesen. Kathinka hat nach dem Kuss gelächelt, meine Wange gestreichelt und mir einen Schmatz auf die Nasenspitze gedrückt. »Das, mein Paladin«, hat sie gesagt, »ist immerhin ein Anfang.«
»Es ist mehr«, habe ich gekrächzt. Am liebsten hätte ich sie stürmisch umarmt, an mich gedrückt und ihr noch tausende Küsse gegeben, aber ich habe instinktiv gespürt, wie viel
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