Die Legende von Skriek 1 - Das Attentat
Haupttor verwahrt. Für einen Moment fühle ich mich nackt und wehrlos. Doch dann denke ich an meine Krallen. Wenn kein Besucher innerhalb des Kastells Waffen tragen darf, bin ich mit meinen hornigen Zehen und Fingern eindeutig im Vorteil.
Wir werden weitergeleitet und gehen über einen weitläufigen Innenhof, der mit Marmorfliesen ausgelegt ist. Eine grauhaarige Amazone erwartet uns und führt uns rasch weiter. Wir eilen durch Flure und über Treppen. Überall sind Wachen, aber auch Bedienstete und Zofen. Einmal sehe ich eine Frau mit einer langen, weißen Toga. Sie hat eine Brosche in Form einer Spinne über ihrer linken Brust an ihrem Kleid befestigt. Der Kopf der Frau ist kahlgeschoren. Sie trägt eine goldene Sichel in ihrem Gürtel. Ich vermute, dass sie eine Priesterin ist.
Endlich erreichen wir unsere Zimmer. Meines liegt direkt neben Kathinkas. Die grauhaarige Amazone überreicht uns lederne Halsbänder, die silberne Spinnenanhänger haben. »Mit diesen Anhängern könnt ihr euch in Ontron frei bewegen und benötigt keine Begleiteskorte.« Sie drückt jeden von uns einen Beutel mit Münzen in die Hand. »Das sind Silberdinare. Damit könnt ihr bei den Läden und Werkstätten einkaufen. Unsere Königin schenkt sie euch und heißt euch herzlich willkommen.«
»Wann werden wir die Königin sehen?«, fragt Kathinka.
»Morgen. Ich gebe euch noch Bescheid.«
»Ist der Zauberer schon da?«
»Nein, aber er wird wohl bald kommen.« Sie sperrt unsere Zimmertüren mit einem Schlüssel auf. »Wenn ihr etwas braucht, zieht am Klingelstrang neben der Tür. Ansonsten seid ihr völlig ungestört und könnt kommen und gehen, wie es euch gefällt.« Die grauhaarige Amazone verabschiedet sich.
Ich betrete mein Zimmer und bin freudig überrascht. Es ist groß und geräumig, mit einem breiten Bett. Auf einem Tisch sind Speisen angerichtet. Obst, Käse, Wurst und dunkles Brot. Eine Karaffe Wein und ein Trinkkelch stehen daneben. Das Allerbeste ist aber eine Badewanne, die mit heißem Wasser gefüllt ist, und mitten im Raum steht. Ich schäle mich aus meinen schmutzigen Kleidern und lege mich in die Wanne. Nach einer Weile kühlt das Wasser ab und ich klettere heraus. Auf dem Bett liegen eine dunkle Leinenhose und ein weißes, langärmeliges Hemd. Ich ziehe die frischen Sachen an, schlüpfe in meinen Kapuzenmantel und überlege, was ich jetzt angehen soll. Die anderen wollen mit mir sicherlich nichts zu tun haben. Doch allein auf meinem Zimmer will ich nicht bleiben. Zu faszinierend erscheint mir die riesige Burg Ontron. Sinnend betrachte ich meinen Anhänger mit der silbernen Spinne und fälle eine Entscheidung. Ich verlasse mein Zimmer und gehe los. Unterwegs treffe ich dutzende Amazonen, die geschäftig durch die Gänge eilen. Keine beachtet mich besonders. Schließlich erreiche ich das goldbeschlagene Portal. Die Wächterinnen nicken mir zu. Ich nicke zurück und marschiere Richtung Haupttor. Wieder komme ich in die schmalen, sich schlängelnden Gassen und bin mit einem Schlag eingehüllt von unzähligen Wesen, die neben, vor und hinter mir einher marschieren oder mir entgegenkommen. Ich erreiche einen freien Platz, in dessen Mitte ein steinerner Wasserspeier steht. Rundum sind Verkaufsbuden, kleine Geschäfte und Stände voll Obst und Gemüse. Ich bleibe stehen, lege den Kopf in den Nacken und betrachte ein hohes, weißes Tempelhaus, in dessen Dachrelief Figuren gemeißelt sind, die einem Skriek nicht unähnlich sehen.
»Durstig, Fremder?«, höre ich eine Frauenstimme.
Ich drehe mich überrascht um und bemerke erst jetzt, dass ich direkt neben einer Schenke angehalten habe. »Hast du kühles Bier?«, frage ich die Frau. Sie ist eine Amazone. Nicht besonders groß, so um die dreißig Jahre, mit dunkelblondem Haar und rundlichen Formen. Kein Spinnennetz ist in ihr Gesicht tätowiert. Sie ist also keine Kriegerin. Dann fällt mir ein hellblauer Reif auf, der ihren rechten Oberarm schmückt, und eine amethystrote Spinne zeigt.
»Mehr, als du trinken kannst.« Sie deutet mir, mitzukommen. »Ich bin hier die Schankmaid, Fremder. Das Lokal gehört Wirtin Estantalla.«
Ich folge ihr und setze mich an einen freien Tisch.
Sie bringt mir einen großen Krug Bier. »Ich heiße Anninka.«
»Ich heiße ...« Einen Moment überlege ich, was ich sagen soll, dann entscheide ich mich. »Ich heiße Skriek.«
»Na dann, Skriek, lass es dir schmecken.«
»Das werde ich.« Ich trinke. Ein Bier, zwei Bier. Dann noch ein drittes.
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