Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
Scheppern des Metalls nahm sie nicht wahr. Sie lief wie durch einen Tagtraum.
Firûsha vermochte nicht mehr als zu krächzen. Sie hatte es aufgegeben, nach Hilfe zu rufen. Niemand wird mich finden. Der Schädel lud einen Fluch auf mich, bevor ich ihn zerschlug.
Gelegentlich gönnte sie sich Schlummer, trank vom Wasser, das an einer Stelle an der Wand hinabrann. Woher es kam, kümmerte sie nicht. Es schmeckte nach verrottendem Gras und Schiefer, aber es löschte den Durst.
Wann genau Marandëis wütender, verzweifelter Schrei erklungen war, hatte sie vergessen. Die Cîanai hatte zu dem Zeitpunkt sicherlich den zerschmetterten Schädel gefunden.
Einerlei. Damit kann sie uns nichts mehr antun. Firûsha schlug nochmals gegen die Wand, sirrend brach der untere Teil des Ständers ab. Zumindest meinen Brüdern nicht mehr. Ich werde wohl der neue Geist des Palastes.
»Ist da jemand?«, vernahm sie eine Albstimme von der anderen Seite.
»Ja.« Firûsha musste schlucken, um die Kehle zu befeuchten. »Ja«, wiederholte sie lauter. »Wer ist da?«
»Tossàlor. Und wer steckt in der Wand gefangen?«
»Firûsha! Firûsha! Du musst die Wand aufstemmen, hörst du?« Sie lehnte sich gegen die Steine und weinte leise vor Erleichterung. Die Tränen perlten gegen die Wand und malten dunkle Linien darauf. »Mach schnell. Ich muss aus diesem Gefängnis entkommen. Bitte! Suche meine Brüder …«
»Sie sind nicht da. Warte. Ich laufe und hole Crotàgon. Ihm wird es gelingen«, erwiderte er hastig.
Das Warten in der Stille begann.
Gefunden. Ich wurde endlich gefunden. Firûsha sank zu Boden und döste ein, der zerstörte Kerzenleuchter löste sich aus den Fingern.
Sie erwachte erst wieder, als es laut krachte und rumpelte. Ein Loch öffnete sich neben ihr in der Wand, durch das zwei kräftige Arme langten, sie packten und aus dem Gang hoben. Sie wurde auf eine Liege gebettet und blickte sich erschöpft um.
Firûsha befand sich anscheinend in Tossàlors Atelier, das er streng vor Besuchern abschirmte. So komme ich zum ersten Mal in seine Knochenschmiede.
Er und Crotàgon standen vor ihr und musterten sie verwundert und sorgenvoll. Ihr Schwertlehrmeister, gekleidet in eine schwarze Tunika, reichte ihr einen Becher mit Wasser, danach ein Brett mit Brot, Käse, Obst und gekochtem Fleisch, das mit einer duftenden Paste bestrichen war.
Oh, ich werde alles aufessen. Bis zum letzten Bissen! Hastig nahm Firûsha das Gefäß und trank, danach stopfte sie das Essen in sich hinein. Zeit zum Sprechen war anschließend genug. Erst musste sie zu Kräften kommen.
Tossàlor, in eine purpurfarbene Robe gewandet, und Crotàgon drängten sie nicht und warteten geduldig, der Krieger legte ihr eine Decke um. Der Zustand der Albin sprach für sich.
Der Raum war angefüllt mit unzähligen Regalen, in denen verschiedenste Knochen lagerten, die der Künstler während seiner Reisen mit Sisaroth zusammengesammelt hatte. Fein geordnet, nach Größe, nach Beschaffenheit, sogar nach Farbe. Es gab außerdem einen Schrank mit der Aufschrift »Zähne«, einen mit »Haare«.
Firûsha fiel ein, dass Tossàlor die Gebeine nicht etwa angestrichen hatte, sondern Rassen in Phondrasôn entdeckt, deren Knochen sich aufgrund ihrer Nahrung von selbst färbten. Er hatte von Sisaroth die Erlaubnis erhalten, in der Festung einige Zellen zu nutzen, in denen er Gefangene hielt und sie mit diesem außergewöhnlichen Essen versorgte. Algen, Pflanzen, die Panzer von Insekten wurden zu Pülverchen angerührt und in die Mahlzeiten gegeben. Wenn Tossàlor befand, dass es an der rechten Zeit war, tötete er die Gefangenen und brach die verschiedenfarbigen Knochen aus ihnen. Für die Kunst.
Firûshas Kauen wurde langsamer, sie blickte auf die Paste. Färbt er gerade auch meine Knochen?
Tossàlor hatte sich auf die Schnitzerei spezialisiert. Gelegentlich zeigte er Tirîgon, wie man die dünnsten Feinheiten in Gebeine ritzte, ohne dass der Knochen ausfranste oder splitterte. An den Wänden hingen Werkzeuge, deren Sinn sie nicht immer verstand.
»Da ist jemand richtig ausgehungert«, sagte Tossàlor in die Stille und strich ihr über das schmutzige Haar. Er ging zum Durchbruch, streckte den Kopf vorsichtig durch das Loch und sah in den Gang. »Jetzt möchte ich eine gute Erklärung dafür hören, wie du in die Wand gelangtest«, sprach er besonnen und kehrte zu ihr an die Liege zurück. »Der Korridor dahinter sieht nicht aus, als wäre er zufällig entstanden.« Seine Augen
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