Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
Umhängetasche und beförderte einen langen Oberschenkelknochen hervor, der sauber entfleischt war und weißlich im Licht leuchtete. »Dieser ist recht.« Das Gebein wurde auf den Tisch gelegt.
»Nun schlägt Crotàgon mit der flachen Seite des Speers darauf«, fuhr Firûsha mit ihrer Erklärung fort.
Tossàlor wollte gegen die Zerstörung protestieren, klappte den Mund jedoch wieder zu. »Meinetwegen. Mag der tote Elb unserer Einigkeit dienen«, murmelte er.
»Danke für deine Einsicht. Dann los, Crotàgon. Die Anzahl der Splitter steht für einen zehnten Unendlichkeitsteil, die wir sicher bleiben und nach deren Ablauf wir losziehen.« Firûsha sah nacheinander zu ihren Brüdern. »Werdet ihr euch daran halten?«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute …«, setzte Tirîgon an, als Esmonäe unvermittelt ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte. Er verstummte.
Marandëi sah es, ihre rechte Augenbraue zuckte in die Höhe. Firûsha entging nicht, dass Esmonäe den Blick der Cîanai herausfordernd erwiderte. Was hat das zu bedeuten? Sie ächzte innerlich. Nicht noch ein Zwist in der Gruppe.
»Inàste, ihr Infamen und Samusin! Wir bitten euch, ihr alten und jungen Götter, sendet uns eine Entscheidung.« Crotàgon schlug zu.
Die Tischplatte erzitterte unter der Wucht, der Knochen zerbrach in Dutzende Einzelstückchen, die sowohl Tirîgon als auch Sisaroth akribisch nachzählten. Siebenundsiebzig. Aber auf ihren Zügen stand weiterhin Unzufriedenheit. Beiden gefiel es nicht.
Gleich werden sie Ausflüchte zum Besten geben, um sich nicht daran zu halten. Ich muss Frieden unter ihnen schaffen. Unter allen. Wir brauchen eine starke Gemeinschaft . »Wir legen hiermit einen Eid ab«, sprach Firûsha feierlich. »Schwört, dass wir uns gegenseitig niemals schaden, solange wir in Phondrasôn sind.«
»Was soll das?« Esmonäe sah überrumpelt aus, wurde sich gleichzeitig bewusst, dass sie sich damit verdächtig machte, und bemühte sich offenkundig, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich meine, wir halten ohnehin zueinander.«
Auch Tossàlors säuerlicher Miene sah man an, dass er insgeheim mit manchem Knochen der Anwesenden rechnete, um Kunstwerke zu erschaffen. Gebeine der Elben schienen ihm nicht zu genügen.
Welch vertrauensvolle Gesellschaft, dachte Firûsha. Haben denn alle bereits ihre eigenen Pläne gemacht? Den Zusammenhalt, wie er in Dsôn unter den Albae gelebt wurde, gab es in Phondrasôn nicht.
»Ich finde den Schwur sinnvoll«, stimmte wenigstens Crotàgon zu. »Er schützt uns vielleicht einmal mehr, als wir ermessen können.« Er sah zu Firûsha. Sein Ausdruck machte deutlich, dass er ebenso dachte wie sie.
»Als ob ein Schwur gegen eine verräterische Klinge schützt«, warf Tirîgon leise ein und sah zu den Bücherregalen.
Marandëi stieß den Stab einmal auf. »Ich weiß einen Weg, der dem Eid mehr Gewicht verleiht. Es ist eine kleine Zeremonie: Jeder von uns wählt einen Splitter. Er sollte nicht zu groß sein«, sagte sie getragen.
Die Versammelten taten es. Für einige schien es nicht mehr als eine Gefälligkeit, ein Lippenbekenntnis zu sein, Esmonäe hielt es ihrem verächtlichen Blick nach höchstens für eine Gaukelei.
»Haltet sie in die Höhe und lasst sie einander berühren.« Alle folgten ihrer Anweisung, und die Cîanai murmelte einen Zauber.
Um die gereckten Knochenfragmente glomm es unvermittelt schwarz, woraufhin sich die Gebeine dunkel einfärbten. Die Splitter knackten und knisterten, wie von unsichtbarem Feuer erhitzt.
»Die … die Splitter werden warm«, wunderte sich Tossàlor. »Sie sind finster wie die Nacht geworden.«
»Nun lastet ein Todesfluch auf ihnen«, erklärte Marandëi mit einem verschlagenen Lächeln und atmete befreit auf. »Wer immer seinen Knochen ablegt oder einem von uns Böses antut, wird davon ereilt.« Marandëi zog ihren Splitter zuerst weg und verstaute ihn in einer Tasche. »Ich würde an eurer Stelle gut darauf aufpassen.«
Esmonäe starrte sie fassungslos an. »Bist du bei Trost? Du sprachst von einem Ritual, nicht von einem Todesfluch, du verrückte Hexe! Nimm ihn zurück!«
»Das kann ich nicht, stürmische Albin«, erwiderte die Cîanai. »Erst wenn ein Leben durch den Fluch ausgelöscht wurde, vermag ich ihn zu brechen. Er muss sich einmal erfüllt haben.« Sie legte den Kopf schief. »Warum so aufgeregt? Habe ich irgendwelche deiner geheimen Vorhaben durchkreuzt?«
Esmonäe schwieg wütend. Tossàlor senkte ertappt den Blick und steckte den
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