Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
genau bedeutet es, hier in die Bredouille zu kommen?«
»Normalerweise heißt es, dass du umkommst«, erklärte Ren.
»Schönes Land«, meinte Hirad. »Es wundert mich, dass du es verlassen hast.«
»Oh, es ist wirklich schön, Hirad«, sagte Ilkar. »Aber es ist eben auch gefährlich für Fremde.«
Hirad wechselte einen Blick mit Darrick, der die Augenbrauen hochzog.
»Alles klar, General?«, fragte der Barbar.
»War nie besser«, erwiderte Darrick.
Am gegenüberliegenden Ufer setzte schlagartig ein gewaltiges Gebrüll ein. Durch den abziehenden Nebel sahen sie einen Vogelschwarm, der unter durchdringendem
Kreischen himmelwärts floh. Hirad zuckte zusammen. Das Boot schwankte. Ren und Ilkar am Heck lachten.
»Bei den Göttern, ich werde die Reise genießen«, sagte der Magier.
Das Segel knatterte und blähte sich, als die Brise in der Mitte des Wasserlaufs auffrischte. Hirad zog es vor, seine Gedanken für sich zu behalten, und blickte in die Tiefe des Regenwaldes.
Vierzehntes Kapitel
Selik, vierzig Schwarze Schwingen und der gefangene Magier galoppierten nach einem scharfen dreitägigen Ritt durch das zerstörte Land, in dem verlassene Gehöfte sich mit trostlosen Dörfern abwechselten, nach Understone hinein. Die Pferde waren erschöpft, die Reiter wundgescheuert, und Selik hatte starke Schmerzen im Gesicht und in den abgestorbenen Teilen seiner Brust. Das war etwas, das er nie verstehen konnte. Die Nerven waren vom Spruch der Hexe eingefroren worden, warum also konnte es derart wehtun? Phantomschmerzen, hatte man ihm erklärt. Er stellte sich lieber vor, es sei eine Art Regeneration seines zerstörten Körpers, doch in den letzten sechs Jahren hatte sich sein Zustand nicht verbessert.
Understone hatte sich nicht wieder erholt, seit es im letzten Krieg gegen die Wesmen eine zentrale Rolle gespielt hatte. Schon vorher war es eine kleine, heruntergekommene Garnisonsstadt gewesen, und nach den Kämpfen war sie niedergebrannt und zerstört zurückgeblieben. Der Ort war nur noch ein Schatten seiner selbst. Man
konnte sich kaum vorstellen, dass er einst als mächtige Verteidigung gegen die Invasion der Wesmen durch den Understone-Pass errichtet worden war.
Die Schwarzen Schwingen ritten durch die wieder aufgebaute und erneut verlassene Hauptstraße, an verrammelten Häusern vorbei zur kleinen Garnison, die von einem Palisadenzaun geschützt wurde. Vor dem offenen Tor zügelten sie ihre Pferde. Weniger als vierhundert Schritt entfernt gähnte das dunkle Loch des Zugangs zum Pass, der jetzt wieder unter Kontrolle der Wesmen stand und der einzig brauchbare Landweg von Ost nach West durch die Blackthorne-Berge war.
Selik wandte sich an den Wächter, der herausgeeilt kam, um sie zu begrüßen. Es war ein junger Rekrut, der eine schäbige alte Rüstung aus Leder und ein Kettenhemd trug und mit einer rostigen Pike bewaffnet war. Sein Helm wackelte auf dem Kopf, und im bleichen, verkniffenen und hungrigen Gesicht saßen ängstliche Augen.
»Sagt mir, was Ihr wollt«, verlangte er mit schwankender Stimme.
Selik stieg ab und ging zum Wächter. Er breitete die Arme aus, um seine friedlichen Absichten kundzutun.
»Bitte, so beruhigt Euch. Wir wollen unseren Verteidigern doch nichts antun«, nuschelte er mit seinem schmerzenden Mund und seinem entstellten Gesicht. »Wir suchen nur einen Ort, wo wir über Nacht kampieren können, bevor wir morgen früh weiter nach Süden reiten.«
Der Wächter kniff die Augen ein wenig zusammen. »Warum nach Süden?«
»Wir sind auf einer Mission, die allen Menschen dient«, erklärte Selik. »Aber das sollte ich vielleicht besser Eurem Kommandanten erklären.«
»Ich will sehen, ob er zu sprechen ist«, sagte der Posten. Seine Stimme bebte nicht mehr so stark wie am Anfang. »Darf ich nach Eurem Namen fragen?«
»Aber natürlich. Ich bin Hauptmann Selik, und dies hier sind die Schwarzen Schwingen.«
Der Posten wich einen Schritt zurück. »Ich hole den Kommandanten.«
Selik wandte sich kopfschüttelnd an seine Männer.
»Steigt ab und sucht euch Schlafplätze. Ich werde Futter für die Pferde organisieren und dafür sorgen, dass die Garnison sich unseretwegen keine Sorgen macht, wenn ihr versteht, was ich meine. Wir können später noch reden. Wartet auf meine Befehle.«
Er sah ihnen nach, wie sie sich zerstreuten. Einer seiner Leutnants nahm sein Pferd. Sein Blick fiel auf das verquollene Gesicht und die gefesselten Hände des julatsanischen Magiers, der aus dem Sattel
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