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Die Leiche im rosa Nachthemd

Die Leiche im rosa Nachthemd

Titel: Die Leiche im rosa Nachthemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. A. Fair
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anrufen.
    Ich schätzte, daß er mir nur seine
im Prospekt angepriesene »moderne Hausrufanlage« vorführen wollte. Ich tat ihm
den Gefallen, verschwand in einer der Telefonzellen und ließ mich mit Mrs.
Lintig verbinden.
    Sie meldete sich vorsichtig:
»Ja — bitte?«
    »Donald Lam von der Stimme. Ich
hätte gern ein Interview.«
    »Worüber?«
    »Über Ihre Eindrücke von
Oakview nach Ihrer langen Abwesenheit«, erklärte ich.
    »Nicht über — über meine
Privatangelegenheiten?«
    »Kein Wort. Ich komme gleich
herauf.«
    Ehe sie protestieren konnte,
hatte ich den Hörer aufgelegt. Sie stand schon in der Tür zu ihrem Zimmer und
erwartete mich.
    Mrs. Lintig war eine
mittelgroße füllige Frau mit silbern getöntem Haar, dunklen, wachsamen Augen
und einem noch glatten, alerten Gesicht. Man sah ihr an, daß sie lange Zeit auf
sich selbst gestellt gewesen war und im Leben kräftig ihre Ellenbogen gebraucht
hatte.
    »Sie haben eben angerufen?«
fragte sie.
    »Ja.«
    »Wie war Ihr Name?«
    »Lam.«
    »Und Sie arbeiten an einer der
Zeitungen?«
    »Ja. Es gibt nur noch eine.«
    »Welche war es doch noch?«
    »Die Stimme.«
    »Richtig. Ich möchte eigentlich
gar kein Interview geben.«
    »Dafür habe ich volles
Verständnis, Mrs. Lintig. Natürlich sind Sie dagegen, daß die Presse sich Ihrer
Privatangelegenheiten annimmt. Aber wir würden gern ein paar Sätze über Ihre Eindrücke
von Oakview bringen. Sie waren ja immerhin eine ganze Weile nicht hier.«
    »Einundzwanzig Jahre.«
    »Wie wirkt die Stadt jetzt auf
Sie?«
    »Wie ein ganz verschlafenes
Provinznest«, sagte sie. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß ich einen Teil
meines Lebens hier verbracht habe. Ich wünschte, man könnte mir die Zeit
zurückgeben, die ich hier vertrödelt habe. Wenn ich bloß...« Sie hielt inne.
»Aber das hört sich vermutlich nicht sehr schmeichelhaft an.«
    »Da haben Sie recht.«
    »Ja, das habe ich befürchtet.
Was sollte ich denn sagen?«
    »Daß die Stadt sich ihre
Individualität bewahrt hat. Andere Städte mögen schneller gewachsen sein, aber
sie haben dabei ihre typischen Eigenschaften verloren. Oakview hat noch immer
seinen Charme, für den es schon damals berühmt war.«
    Sie sah mich aus verengten
Augen an.
    »Sie scheinen ein heller
Bursche zu sein«, sagte sie. »Kommen Sie mal hier rüber, wo ich Sie besser
sehen kann.«
    Ich gehorchte.
    »Für einen Reporter kommen Sie
mir aber noch reichlich jung vor.«
    »Bin ich auch.«
    »Ich kann Sie gar nicht
deutlich erkennen. Dieses Hotel — also, ich sage Ihnen, es ist einfach
unerhört. Knapp eine Viertelstunde nach meinem Eintreffen hat ein Page einen
Koffer genau auf meine Brille gestellt. Natürlich ist sie jetzt hin.«
    »So ein Pech«, meinte ich
mitfühlend. »Und Sie hatten keine Ersatzbrille mit?«
    »Nein. Ich muß mir eine
nachschicken lassen.«
    »Woher?« fragte ich.
    Ihre Augen glitzerten. »Von
meinem Optiker.«
    »Aus San Franzisko?«
    »Mein Optiker schickt mir meine
Brille mit der Post«, erklärte sie. Es klang abschließend.
    »Die Veränderung in Oakview ist
Ihnen also aufgefallen«, fragte ich.
    »Allerdings!«
    »Wahrscheinlich hatten Sie die
Stadt anders in Erinnerung. Sie muß Ihnen jetzt viel kleiner vorkommen.«
    »Ja — als ob man sie durch das
falsche Ende eines Fernrohrs betrachtet. Warum bleiben bloß die Leute hier
wohnen?«
    »Es muß am Klima liegen«,
meinte ich. »Ich habe es zuerst auch nicht vertragen und bin fortgezogen. Aber
dann habe ich mich doch zur Rückkehr entschlossen. Jetzt geht es mir blendend.«
    Sie sah mich verblüfft an. »Was
hatten Sie denn?«
    »Ach, so allerlei.«
    »Sie sehen ein bißchen spillrig
aus, aber nicht direkt leidend.«
    »Bin ich auch nicht. Sie
betrachten ja nun Ihre kleine Stadt sozusagen mit den Augen einer Globetrotterin.
Als Sie wegzogen, gehörten Sie dazu. Jetzt sind Sie eine Weltbürgerin. Sagen
Sie, Mrs. Lintig, wie wirkt Oakview im Vergleich zu London?«
    Sie reagierte blitzschnell.
»Kleiner«, sagte sie. Dann fügte sie hinzu: »Wer hat Ihnen gesagt, daß ich in
London war?«
    Ich schenkte ihr mein
sonnigstes Lächeln. Aber das war vermutlich reine Verschwendung, weil sie ja
ihre Brille nicht aufhatte. »Man merkt doch gleich, daß Sie viel herumgekommen
sind. Sie gehören nicht mehr nach Oakview.«
    »Das möchte ich auch schwer
hoffen. Man kriegt ja Zustände in diesem Nest.«
    Ich zückte mein Notizbuch und
kritzelte etwas hinein.
    »Was machen Sie da?« fragte sie
mißtrauisch.
    »Ich habe

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