Die Leiche im rosa Nachthemd
fand, war ich so
geschockt, daß ich eine Weile an nichts anderes denken konnte.«
»Sie hatten keine Ahnung, daß
ein Mord begangen worden war?« imitierte ich den Bezirksanwalt.
»Nein, natürlich nicht.«
»Woran ist er Ihnen denn
aufgefallen?«
»An seinem Gang. Er war ein
großer, schwerer Mann, und er ging sehr schnell, er rannte geradezu. Und
vielleicht hat er sich auch noch einmal umgesehen. Jedenfalls wirkte er
irgendwie verstört. Und er sah mich ganz komisch an. Direkt unheimlich.«
»Warum haben Sie mir das nicht
schon eher erzählt?«
Sie sah mich aus großen, unschuldigen
Augen an. »Ich sagte ja schon, Mr. Ellis — dieses schreckliche Erlebnis — alles
andere war wie ausgelöscht...«
»Du könntest hinzusetzen, daß
die Verhöre dich sehr belasten.«
Sie lächelte. »Das wäre zu
plump geschwindelt. Er weiß genau, daß sie keine Belastung sind.«
»Flirtest du mit ihm?«
Sie betrachtete ihre sorgfältig
lackierten Fingernägel. »Er bietet mir seinen männlichen Schutz«, erklärte sie,
»und ich gebe ihm zu verstehen, daß ich seine Ritterlichkeit zu schätzen weiß.
Er mag mich, und ich finde ihn auch nett.«
»Dann ist ja alles in Butter«,
sagte ich. »Dein Taxi dürfte inzwischen unten sein. Wecke mich bitte, sobald du
kommst, und komm sofort hierher zurück. Laß dich keinesfalls aufhalten. Und
mach’s so kurz wie möglich.«
»Wird gemacht«, versprach sie.
Ich schloß die Augen und
entspannte mich. Ich hörte noch, wie sie leise hin- und herging, um mich nicht
zu stören, dann klappte die Tür hinter ihr zu.
Ich wachte ein paarmal auf,
rückte mich in meinem Sessel zurecht und döste wieder ein. Nach einer Weile
taten mir alle Glieder weh, aber ich war zu verschlafen, um mich daran zu
stören.
Ich hörte nicht, als sie
wiederkam, und wachte erst auf, als sie auf der Sessellehne saß. »Du Ärmster«,
sagte sie.
Ich öffnete die Augen, kniff
sie geblendet wieder zu und nahm meine Füße vom Stuhl. Ich spürte ihre kühlen,
sanften Fingerspitzen auf meiner Stirn. Langsam kam ich wieder zu mir.
»Geschafft?« fragte ich noch etwas benommen.
»Ja.«
Ich nahm ihre Hand. »Hat alles
geklappt?«
»Wie meinst du das?«
»Hat er dir deine Geschichte
abgenommen?«
»Natürlich. Ich habe ihm genau
das gesagt, was du mir aufgetragen hast. Du hast es mir nicht zugetraut, was?
Da siehst du, was du an mir hast.«
»Hast du noch mehr über die
Querverbindung nach Santa Carlotta erfahren?« fragte ich.
»Ja. Mr. Ellis hat sofort mit
Santa Carlotta telefoniert. Er sagt, sie warteten auf mein Protokoll. Deshalb
wollte er ihnen sofort diese neue Entwicklung mitteilen.«
»Was am anderen Ende der
Leitung gesagt wurde, weißt du wohl nicht?«
»Mr. Ellis hat nur berichtet.
Näheres hatten sie anscheinend schon vorher besprochen.«
»Sag mal — was hat eigentlich
Mr. Ellis zu deinem Schutz unternommen?«
»Zu meinem Schutz? Wieso?«
»Begreifst du nicht? Evaline
Harris ist einem Mord zum Opfer gefallen. Einem grausamen, kaltblütig geplanten
Mord, Die Polizei hat außer deiner Aussage praktisch keine Hinweise. Wenn der
Mörder merkt, daß sich das Netz um ihn enger zusammenzieht, liegt es nahe, daß
er...« Ich machte eine wirkungsvolle Pause. »Deshalb frage ich, was Mr. Ellis
unternommen hat.«
In ihren Augen stand jetzt
Angst. »Ich glaube, daran hat er überhaupt noch nicht gedacht.«
Ich sah auf die Uhr. »Schlimm
genug. Aber das wird sich ändern. Ich setze mich mit ihm in Verbindung. Du
bleibst hier.«
»Ich könnte ihn ja auch
anrufen.«
»Das wirst du schön
bleibenlassen. Ich fahre zu Mr. Ellis und unterhalte mich mit ihm. Von mir aus
kann er so nett sein, wie er will — daß er sich keine Gedanken um deine
Sicherheit macht, finde ich, gelinde gesagt, unverfroren.«
»Ich kann einfach nicht
glauben, daß ich in Gefahr bin. Aber...«
»Versprich mir, daß du die
Wohnung nicht verläßt, bis ich wieder da bin.«
»Ich verspreche es.«
Ich fuhr vor dem Spiegel einmal
mit dem Kamm durch die Haare und griff mir meinen Hut. »Also — keinen Schritt
vor die Tür!«
Ich ging bis zur Ecke,
verschwand in einem Drugstore und rief das Polizeipräsidium an. Dort ließ ich
mich mit dem Morddezernat verbinden. Nach einer Weile meldete sich eine
gelangweilte Stimme. »Hier Morddezernat.«
»Ich habe einen Tip für Sie«,
sagte ich hastig. »Es darf aber niemand wissen, daß ich angerufen habe. Fragen
Sie nicht nach meinem Namen, und versuchen Sie nicht, den
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