Die Leiche im rosa Nachthemd
sich hinterher ein neuer Gesichtspunkt ergibt, ist das für einen
gerissenen Strafverteidiger ein großartiger Aufhänger. Er könnte dich fragen,
ob du eine Aussage zu Protokoll gegeben hast und was darin stand. Er würde
verlangen, daß dieses Protokoll dem Gericht vorgelegt wird. Deshalb möchte der
Bezirksanwalt erst Anklage erheben, wenn er sich davon überzeugt hat, daß du
dich an alle Einzelheiten erinnert hast.«
»Dann müßte ich ja auch
unterschreiben, daß ich vor dem Haus diesen Mann getroffen habe...«
»Nein, das müßtest du nicht
unterschreiben. Die Zeit, die sie brauchen, um ein neues Protokoll
auszuarbeiten, ist für mich sehr wertvoll. Wenn du das fertige Protokoll heute
nachmittag unterschreibst, erheben sie heute abend Anklage. Wenn du aber deiner
Aussage jetzt noch etwas hinzufügst, diktieren sie einen Zusatz und bitten
dich, morgen zur Unterschrift zu kommen.«
Sie zögerte.
Ich seufzte hörbar. »Wenn es
dir schwerfällt, müssen wir es natürlich lassen. Ich sitze in der Klemme und
hatte gehofft, daß du mir vielleicht helfen könntest. Daß die Sache für dich
etwas anders aussieht, habe ich mir nicht überlegt. Laß nur — da muß ich mir
eben was anderes einfallen lassen.«
Ich stand auf und steuerte auf
die Tür zu. Nach zwei Schritten hörte ich Marian aufspringen. In der nächsten
Sekunde hing sie an meinem Hals. »Bitte, bitte geh nicht fort. Sei doch nicht
so! Natürlich tue ich es für dich. Ich hab’s dir doch versprochen.«
»Ich fürchte, du bist nicht der
Typ, der so was durchhält. Du tappst bestimmt in eine Falle.«
»Unsinn! Du sollst mal sehen,
wie gut ich so was kann. Mr. Ellis mag mich. Er mag mich, glaube ich, sehr...«
»Magst du ihn?«
»Er ist nett.«
»Es würde mir sehr
weiterhelfen, Marian.«
»Wann soll ich es tun?«
»Sofort. Zieh dich an, schnapp
dir ein Taxi und fahr zum Bezirksanwalt. Sag ihm, daß dir noch etwas eingefallen
ist, und erzähl deine Geschichte. Sag ihm, das müßte noch in das Protokoll.«
»Einverstanden. Kommst du mit?«
»Nein. Ich möchte nach
Möglichkeit nicht auf der Bildfläche erscheinen. Sag nichts über mich.«
Sie ging zum Spiegel, kämmte
sich, legte Lippenstift auf und puderte die Nase. »Fertig. Wartest du auf
mich?«
»Ja.«
»Da drüben liegen ein paar
Illustrierte, und...«
»Die können mich im Augenblick
nicht reizen. Ich lege mich ein wenig aufs Ohr.«
»Tu das! Donald — du hast ja
Nasenbluten!«
Ich holte ein sauberes
Taschentuch hervor. »Ich hab’ mich gestoßen. Seitdem blutet sie buchstäblich
alle Nase lang.«
Sie lachte. »Du scheinst ein
unverträglicher Bursche zu sein. Erst ein blaues Auge, jetzt eine geschwollene
Nase...«
Sie setzte sich einen tollen Hut
mit breiter Krempe auf und schlüpfte in den Mantel.
»Wie ist es mit dem Taxi? Hast
du Telefon?«
»Ja — aber ich schnappe mir an
der Ecke eins.«
»Bestell es dir doch lieber«,
sagte ich, »dann steht es unten, wenn du aus der Tür kommst.«
Während sie nach dem Taxi
telefonierte, zog ich mir einen Stuhl als Fußstütze heran und machte es mir in
dem tiefen Klubsessel gemütlich.
»Machen wir eine kleine
Generalprobe«, sagte ich. »Was wirst du tun?«
»Genau das, was du mir gesagt
hast.«
»Und du wirst nicht mittendrin
den Faden verlieren und verraten, daß du eine eingelernte Lektion hersagst, die
ich dir eingetrichtert habe?«
»Natürlich nicht.«
»Woher willst du das so genau
wissen?«
»Weil ich lügen kann, wenn es
sein muß.«
»Schon Erfahrungen damit?«
»Massenhaft.«
»Das waren kleine
Schwindeleien«, sagte ich. »Diesmal hast du es mit einem erfahrenen Anwalt zu
tun.«
»Mr. Ellis wird mir glauben.
Dadurch wird es ja gerade so schwierig. Er glaubt mir jedes Wort. Er ist
schrecklich nett, Donald.«
»Möglich. Aber Anwalt bleibt
Anwalt. Wenn ein Zeuge erstmal seinen Verdacht erregt hat, stürzt er sich auf
ihn wie ein Terrier auf eine Ratte. Was also sagst du ihm?«
»Daß ich bei meinem ersten
Besuch in dem Apartmenthaus diesen Mann herauskommen sah. Ich hatte ihn total
vergessen, aber nachdem ich in Ruhe noch einmal über alles nachgedacht habe,
ist mir eingefallen, daß er mir gleich irgendwie verdächtig vorkam.«
»Wie sah er aus?«
»Groß, breitschultrig, mit
dicken, buschigen schwarzen Augenbrauen. Auf einer Backe hatte er ein Muttermal.
Rechts, glaube ich...«
»Wodurch hat er sich verdächtig
gemacht?«
»Es war kein konkreter
Verdacht. Er fiel mir nur auf. Als ich dann die Leiche
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