Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
erleichtert! Verflucht! Vergiss das mit der langsamen Fahrt! Wir wollen schnell nach Hause!»
Semjon und Angelica tauschten einen Blick aus, als Jack sich auf das Trittbrett schwang und mit der Faust gegen das Häuschen des Kutschers schlug.
Gleichzeitig gestikulierte er in Richtung von Semjon und Angelica. Beide begriffen sofort, worum es ging.
Kommt nach.
Dies würden sie allerdings zu Fuß tun müssen, denn sie hatten nicht einen Schilling bei sich. Außerdem hatten sie nur eine äußerst ungenaue Vorstellung, wo sie sich befanden. Und das Geschwätz um sie herum trug auch nicht dazu bei, herauszufinden, wo genau sie waren.
Sie sahen sich an und sprachen zur selben Zeit denselben Namen aus.
«Antoscha.»
Sie mussten sich beeilen und rannten los.
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Kapitel Neunzehn
«Welche Richtung?», fragte sie ganz außer Atem in dem Versuch, mit ihm Schritt zu halten.
«Folge mir einfach.»
«Wie kannst du denn so sicher sein, wo es langgeht?» Angelica fiel ein, wie leicht sie bekleidet war, und schlang den geöffneten Mantel um ihren Körper. Es war wider Erwarten doch recht schwer, in den absatzlosen Stiefeln zu laufen.
«Natürlich wegen der Fährte, die sie in der Luft hinterlassen. So habe ich auch dich gefunden.» Semjon hob den Kopf, ergriff ihre Hand und bog in eine Straße ein, die Angelica niemals gewählt hätte. Sie war zwar vollkommen verlassen, aber Semjon schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. «Du hast einen sehr markanten Duft an dir.»
«Eine Kutsche riecht doch wohl wie die andere», erwiderte sie.
«Diese Kutsche stinkt nach Mrs. Congreves Parfüm und nach ihrem Erbrochenen», sagte er knapp. Er schien jetzt sowohl in seiner äußeren Erscheinung als auch im Benehmen wieder ganz der Alte zu sein.
Doch sie war Zeuge geworden, wie er Sin vor nicht mal zwei Stunden auf brutalste Weise angegangen war, und konnte sich daher immer noch nicht einer gewissen Unruhe erwehren. Sollte es im Haus der Congreves zu einer weiteren Auseinandersetzung kommen, könnte das weitaus schlimmere Konsequenzen nach sich ziehen.
«Ist dir auch warm genug?», fragte er.
«Natürlich nicht. Du hast doch gesehen, was ich dort anhatte.»
Er nickte, verlangsamte sein Tempo und sog erneut die Luft ein. Auch der Weg, den sie jetzt eingeschlagen hatten, war menschenleer, und er schien für einen kurzen Moment nicht zu wissen, wo sie weitergehen sollten. Das Mondlicht offenbarte Semjons besorgten Ausdruck, und die vorbeiziehenden Wolken legten sich wie Schatten der Unruhe auf sein Gesicht.
«Haben wir uns verlaufen?»
«Nein. Was da im Haus von Sin passiert ist … das war wie ein nicht enden wollender Albtraum.»
Sie nickte. «Davon wollen wir jetzt nicht reden. Und ich bin sicher, es gibt vieles, woran du dich gar nicht erinnerst.»
«Ich hätte Sin fast getötet», sagte er und drehte sich zu ihr um. «Wieso hast du mich aufgehalten?»
«Ich … ich weiß es nicht.»
Er schüttelte den Kopf und schien alles andere als zufrieden mit ihrer Antwort. «Wir sollten das Thema niemals vor irgendjemandem zur Sprache bringen. Niemand muss davon erfahren.»
«Die Congreves könnten vielleicht etwas bemerkt haben.» Angelica dachte zwar immer noch, dass ihre ehemalige Herrschaft sie nicht erkannt hatte, aber Antoschas Rettung könnte sie ins Verderben stürzen. Andererseits konnte sie es auch nicht allein Semjon überlassen, ihn zu befreien.
«Es gibt für alles eine Lösung», sagte er unerschrocken. Nach und nach schien er wieder zu dem Mann zu werden, den sie kannte. Aber die einem rauschhaften Wahn ähnelnde Zelebration der Lust und ihre grausame Gefangenschaft würden Spuren hinterlassen.
Doch jetzt daran zu denken war der reinste Irrsinn, und sie liefen weiter.
Obwohl sie von seiner Wolfsnatur wusste, war Angelica doch überrascht, als sie irgendwann vor dem Haus standen, das sie gesucht hatten. Es war nicht mal einen Monat her, dass sie zuletzt hier gewesen war, doch es kam ihr vor wie ein ganzes Leben.
Aus den großen Fenstern der Vorderfront drang helles Licht.
«Mrs. Congreve muss den gesamten Haushalt geweckt haben», stellte er fest. «Wo wird die Kutsche untergestellt?»
«Hinter dem Haus. Man teilt sich dafür ein kleines Gebäude mit einer anderen Familie. Es werden also zwei Kutschen dort stehen.»
Er warf einen weiteren Blick auf das Haus und sah dann wieder Angelica an. «Wo suchen wir zuerst?»
Angelica warf einen besorgten Blick auf die erleuchteten Fenster.
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