Die Letzte Arche
namens »die Kappe« war gegenwärtig in Dunkelheit getaucht und unter Hunderten von Metern Winterschnee begraben. Das Weltmeer selbst hatte noch keinen Namen; die Meere konnten getauft werden, wenn sie bereit waren, sie zu befahren, dachte Holle.
Die aufregendsten Merkmale waren die purpurroten Flecken an den Küsten der Kontinente und den Seeufern: Leben , einheimisches Leben auf der Erde II, irgendwelche Pflanzen, die eifrig das Licht von 82 Eridani nutzten, um mit ihrer eigenen, einzigartigen photosynthetischen Chemie Kohlendioxid in Sauerstoff umzuwandeln.
Venus begann ohne Einleitung.
»Ihr habt alle Zugriff auf die vollständigen Berichte im Schiffsarchiv. Heute werde ich nur die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen.
Wir sind seit sechs Monaten hier in diesem System. Wir haben die Atmosphäre, das Land und die Meere spektroskopisch auf allen Wellenlängen untersucht, haben mit Hilfe von Radar den Untergrund sondiert und die Meeresböden kartographiert, und wir haben auch eine Reihe von Penetratorsonden hinuntergeschickt, um vor Ort Proben zu nehmen.« Das waren Landefahrzeuge, die schlanken Raketen ähnelten, gehärtet, um einen heftigen Aufprall zu überstehen und sich ein paar Meter tief in den Boden zu graben, ausgerüstet mit Erdbildmesskameras, die Nahaufnahmen von den letzten Phasen des Abstiegs lieferten, sowie Seismometern, chemischen Sensoren, Wärmefühlern und Magnetometern.
»Hier ist die gute Nachricht«, sagte Venus. »Allem Anschein nach haben wir eine Welt vor uns, die ungefähr die richtige Masse und das richtige Sortiment flüchtiger Stoffe besitzt, die in einem stabilen, kreisförmigen Orbit ungefähr in der richtigen Entfernung von ihrer Sonne kreist, so dass sich an der Oberfläche stabile Wassermeere bilden konnten. ›Richtig‹ heißt, sie ist erdähnlich.
Und im Prinzip bewohnbar. Wenn man mit einer der Raumfähren landen und ins Freie treten würde, wäre man einer Schwerkraft
von ungefähr achtzig Prozent der Erdschwerkraft ausgesetzt; die Erde II ist nicht so massiv wie die Erde und hat einen kleineren Durchmesser. Momentan ist der nördliche Sommer etwa zur Hälfte vorbei. Stünde man am Pol, sähe man die Sonne nah am Zenit kreisen, unmittelbar über sich. Am Äquator kreist die Sonne um den Horizont, sinkt vielleicht für ein paar Stunden pro Tag darunter, je nachdem, wo genau man sich befindet. Es ist kalt, am Boden liegt Schnee, aber es ist nicht schlimmer als ein Wintertag in einer der gemäßigten Zonen der Erde.
Wenn die Sonne am Himmel steht, bräuchte man nicht mehr Schutz als eine anständige Jacke, feste Stiefel und eine Schutzmaske, um draußen herumzulaufen. Rein von der Sonneneinstrahlung her könnte man die Haut entblößen; es gibt eine gesunde Ozonschicht. Man bräuchte aber einen gewissen Schutz vor der kosmischen Strahlung; das Magnetfeld des Planeten ist erheblich schwächer als das der Erde. Die Luft ist atembar, glauben wir. Es ist im Grunde ein Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch von ungefähr denselben Proportionen wie die Erdatmosphäre. In der ersten Zeit müsstet ihr eine Schutzmaske tragen, falls Spurengifte geologischen oder vielleicht auch biologischen Ursprungs vorhanden sind.
Wir wissen, dass es da unten Leben gibt. Leben auf mikrobieller und, wie es scheint, schlichter Mehrzeller-Ebene, vielleicht so was wie Stromatolithen. Dadurch gelangt der Sauerstoff in die Luft. Es ist unwahrscheinlich, dass es uns Schaden zufügen wird, unwahrscheinlich, dass es zu einer signifikanten Interaktion mit unserer fremden Biochemie kommen wird, aber wir werden es überprüfen müssen. Wir glauben, dass eine erdähnliche Flora Fuß fassen wird, sobald wir dort unten terrestrisches Erdreich ausgebracht haben: Unsere Feldfrüchte werden wachsen, und wenn wir unsere Tiere ausbrüten, werden sie genug zu
fressen bekommen. Unsere Kinder werden herumlaufen und spielen können.« Dafür bekam sie vereinzelten Applaus. In ihrem Gesicht lag jedoch keine rechte Freude.
»So viel ließ sich anhand der Beobachtungen von der Erde und vom Jupiter aus schon vermuten«, sagte sie. »Aber vom Sonnensystem aus konnten wir nur einen verschwommenen Punkt mit einigen Indizien bezüglich Masse, Umlaufbahn und Atmosphärenzusammensetzung sehen. Mehr nicht. Auf dieser Grundlage wirkte der Planet vielversprechend. Doch wie sich inzwischen herausgestellt hat, ist die Erde II keine so enge Schwester der Erde I.
Geologisch ist dies eine weitaus weniger aktive Welt als die Erde. Man kann
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