Die letzte Jungfrau ...
bückte sich, um nicht gegen den Türrahmen zu stoßen. Bertie Hinkle war nämlich einen Meter fünfundneunzig groß. “Hallo, Annie. Guten Morgen, Beaumont.”
Sam neigte den Kopf. “Guten Morgen, Hinkle. Nachträglichen Glückwunsch zur Hochzeit. Soviel ich gehört habe, ist demnächst Familienzuwachs zu erwarten?”
Pansy strich sich zufrieden über den Bauch. “Ja, Nummer zwei ist jetzt jeden Tag fällig. Und bevor ich es vergesse: Ich erwarte, dass du mal vorbeikommst, Sam, und Nummer eins kennenlernst. Momentan ist der kleine Racker damit beschäftigt, seine Großmutter um den Verstand zu bringen.”
“Mom macht das nichts aus”, wandte Bertie ein. “Sie hat einen Narren an dem Kleinen gefressen.”
Pansy lachte. “Klein nennst du unseren Sohn? Er ist so groß wie ein Erstklässler. Leider hat er auch ein sehr stürmisches Temperament.” Sie warf ihrem Mann einen neckenden Blick zu. “Das hat er wahrscheinlich geerbt.”
Bertie wurde rot. “Ich bin seit einer Ewigkeit nicht mehr ausgerastet.”
“Richtig, es muss ja schon eine Woche her sein, dass du den armen, unschuldigen Rasenmäher wüst beschimpft hast.” Pansy wandte sich Annie zu, und ihre Augen glitzerten. “Das ist ein interessantes Outfit. Hast du uns etwas zu beichten?”
“Wieso? Nur weil ich im Morgenmantel eine Tasse Kaffee trinke?”
Pansy zwinkerte ihrer Schwester zu. “Ich habe verstanden. Na gut, wir werden nichts ausplaudern. Stimmt’s, Bertie?”
Der wirkte nicht so, als hätte er eine Abneigung gegen ein bisschen Klatsch, aber ein weiterer Rippenstoß brachte ihn zur Räson. “Ganz recht, Liebes.”
Annie besann sich auf ihre Methoden als Lehrerin. Sie hob das Kinn und warf ihren Verwandten einen einschüchternden Blick zu, obwohl ihr klar war, dass sie in Nachthemd und Morgenmantel bestimmt nicht sehr Respekt einflößend wirkte. “Tut mir leid, ich hatte keine Gäste erwartet. Wenn ihr mich entschuldigt, gehe ich jetzt nach oben und ziehe mich an.”
“Du vergisst, dass wir keine Gäste sind, sondern zur Familie gehören”, sagte Pansy. “Als Verwandte dürfen wir jederzeit erscheinen und unsere Nasen in Sachen stecken, die uns nichts angehen.” Sie winkte Annie beiseite und ging zum Kühlschrank. “Myrtle hat nicht zufällig vor Kurzem gebacken?”
Ohne zu antworten, verließ Annie die Küche. Pansy würde auch ohne Hilfe sämtliche Süßigkeiten im Haus aufspüren, denn sie hatte einen sechsten Sinn dafür, vor allem, seit sie schwanger war.
Im Schlafzimmer zog Annie sich rasch aus und überlegte, ob sie kurz duschen sollte. Nein, lieber nicht, denn wer wusste, was für Schwierigkeiten sich in den wenigen Minuten zusammenbrauen würden, wenn Pansy ihre Zunge nicht im Zaum hielt. Hastig nahm Annie ein Kleid aus dem Schrank und zog es an. Dann band sie sich das Haar im Nacken zusammen und eilte anschließend wieder nach unten.
“Dad war sich sicher, dass du dein Glück bei allen drei von uns Mädchen versuchen würdest”, hörte sie ihre Schwester sagen. “Wieso er das glaubte, kann ich mir nicht vorstellen, weil er doch wusste, was ich für Bertie empfand.”
Hatte Pansy durch die Schwangerschaft etwa jedes Feingefühl verloren? Annie konnte es sich nicht anders erklären. Schnell ging sie in die Küche.
“Pansy! Ich bin mir sicher, Dad hat niemals etwas Ähnliches gedacht.” Besorgt blickte Annie Sam an. Sie hätte ihn nicht mit ihrer Schwester allein lassen dürfen.
Die Knöchel der Hand, in der er den Becher hielt, traten weiß hervor, und seine Augen funkelten zornig. Auch seine Haltung verriet, dass er kurz vor einem Wutausbruch stand. Annie stöhnte insgeheim auf.
Das Verhältnis zwischen Sam und ihrem Vater war äußerst feindselig gewesen. Delacortes geben sich mit Beaumonts nicht ab, hatte Joe Delacorte häufig erklärt. Dass Sams Mutter unehelich geboren worden war, hatte er dem jungen Mann mit aufreizender Regelmäßigkeit vorgehalten, und das hatte meistens zu Handgreiflichkeiten geführt, bei denen Sam stets Sieger geblieben war.
Das Los seiner Mutter war der Hauptgrund gewesen, warum er seine Leidenschaft für sie, Annie, immer gezügelt hatte. Er hatte ihr wiederholt gesagt, er würde niemals ein uneheliches Kind haben wollen, und die einzig verlässliche Methode, das zu vermeiden, sei völlige Enthaltsamkeit. Sie, Annie, würde von ihm erst dann schwanger werden, wenn sie verheiratet seien. Und das wird niemals der Fall sein, dachte sie nun bekümmert.
Sie blickte Pansy
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