Die Letzte Liebe Meiner Mutter
damit waschen würden, ausgerechnet sie lassen dieses amerikanische Hundefutter in ihrem Land zu.«
»Ich hab mal gehört«, sagte Jef, der zum siebten Mal in den Schwarzwald fuhr und damit langsam zum inneren Kreis gehörte, »dass die Hamburger von McDonald’s aus kranken Kühen gemacht werden, die sonst zum Abdecker müssten, Kühen, die lahmen, mit tropfenden Eutern und geschwollenen Lebern. Ich hab das gehört, schon sehr oft, und heut hab ich’s auch geschmeckt. Es war eine Erfahrung, da mal gegessen zu haben, aber bei dieser einen Erfahrung soll’s bleiben.«
»Und der Gipfel von allem«, mischte Martine sich jetzt ein, »war das französische Klo – ein Loch im Boden und sieh zu, wie du fertig wirst! Das amerikanische Essen wollen sie eventuell noch verkaufen, aber komfortable Toiletten von da einbauen? Von wegen!«
Es war tatsächlich der Schrecken jedes Touristen, das französische Klo. Ein Ort, den Frauen mit langen Röcken zwangsläufig bekleckert verließen und wo man sich nass spritzte, wenn man den Besuch zu lange aufgeschoben hatte. Oft vor Dreck starrend, mit glitschigem Boden. Wer keine Erfahrung hatte und/oder ungeschickt war, zog sich die Hose hoch und hatte seinen eigenen Haufen darin. Andere rutschten aus und schlugen mit dem Hinterkopf auf. Die Kosten von Reiseversicherungen schossen in die Höhe, sobald man Frankreich als Urlaubsziel nannte, und daran hatten die Toiletten einen nicht unbeträchtlichen Anteil.
»Man wär nicht der Erste, der für den Rest seines Lebens im Rollstuhl landet, nachdem er in einem französischen Bistro mal musste.«
»Wenn du schon allein technisch auf dem Klo keine Zeitung lesen kannst, dann stimmt mit dem Klo doch was nicht, und man muss eben im Ausland nach besseren Modellen suchen.«
»Pech, wenn man hier Hexenschuss und Durchfall gleichzeitig hat!«
»Weißt du, dass die Franzosen sich für ihre Hygiene selbst schämen? Ihre sanitäre Rückständigkeit ist ihnen dermaßen peinlich, dass sie ihre Klos nicht mal ›französisch‹ nennen.«
»Ach nein?«
»Nein! Weißt du, wie die Franzosen ihre Toiletten nennen?«
» Toilettes françaises also nicht?«
»Nein – türkische Toiletten!«
»Immer dasselbe, wenn was nichts taugt, kriegen die Türken die Schuld.«
Und so fuhren sie, frei von der Leber weg plaudernd, über die Grenze nach Deutschland. Die Bundesrepublik. Am Horizont schimmerten schon golden die ersten sanft ansteigenden Hügel, die Hügel des Schwarzwalds, wo Frauen um diese Uhrzeit in ihren Schmalztöpfen Hähnchen nach Jägerart rührten. Man ließ eine dekadente Nation hinter sich und trat ein in ein Paradies von Rinderrouladen und Rieslingsuppe, von Schweinshaxen und Semmelknödeln, von Schnitzeln und nochmals Schnitzeln, von Weihnachtsstollen, Rindersteaks mit Zwiebelkonfit, Apfelstrudel und Pumpernickel. Fettes Essen durch und durch. Doch im Gegensatz zum Müll von McDonald’s – Fett mit Inhalt. Mit Rückgrat. Fett, das mit der Kultur korrespondierte. Das Fett, das sich in den Wangen Johann Sebastian Bachs sammelte und ihn zu großartigen Oratorien inspirierte. Das Fett, das Theodor Storm nach und nach blähte und dafür sorgte, dass er seine besten Werke schrieb, als er kurz vor dem Platzen war. Das Fett, das Ludwig van Beethoven zu einer Leberzirrhose und einer wahnsinnigen letzten Symphonie trieb. Dieses Fett. Das Überfett.
Kapitel 17
N icht nur für Wannes und Martine, auch für Jimmy läutete der Besuch bei McDonald’s den Beginn eines sozial integrierteren Urlaubs ein. Alle Menüangebote noch angestrengt studierend – schließlich war es auch für ihn das erste Mal in solch einem Restaurant –, hörte er auf einmal eine Mädchenstimme direkt neben sich sagen: »Den Big Mac musst du nehmen!«
Zwar hatte er sie unterwegs schon im Bus sitzen sehen, doch sein besonderes Interesse hatte sie nicht geweckt. Schließlich schätzte er sie auf ungefähr vier Jahre älter, eine Schätzung, die sich als richtig herausstellen sollte, und dieser Altersunterschied – eine ganze Olympiade! – war enorm. Keine Sekunde hätte er es für möglich gehalten, mit diesem Mädchen auch nur irgendetwas zu tun zu bekommen. Überhaupt kam ihm das Prädikat »Mädchen« für sie schon recht unpassend vor: Zu klein, zu kindlich wirkte das Wort. Während das Prädikat »Junge« auf ihn nach wie vor zutraf.
Doch auch abgesehen von ihrem Alter: Das zarte Geschlecht machte ihm Angst. Kinder von progressiv-atheistischen, indischen Tee
Weitere Kostenlose Bücher