Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
und sprach mit dem Portier.
Wenige Augenblicke später kam Sandra Ming heraus.
» Wo steht unser Mietwagen?«, fragte ich.
» Gleich um die Ecke, in einer Parkgarage.«
» Sie müssen dem Wagen folgen, ich will wissen, wo sie hinfährt.«
Leonie knallte ihren Laptop zu. Mrs. Ming sprach mit dem Fahrer, er schien ihr einen Ausweis zu zeigen. Der Portier hatte sich auf seinen Posten zurückgezogen. » Die sind weg, bevor ich beim Wagen bin«, meinte Leonie.
» Gehen Sie nur, sie wird noch da sein, dafür sorge ich schon.«
» Ich weiß nicht, wie man ein Auto verfolgt.«
» Folgen Sie ihnen überallhin, und lassen Sie sich nicht erwischen. Wir tun’s für die Kinder.«
» Danke.« Leonie sprintete aus der Sushi-Bar, und der zornige Koch sah ihr nach, als würde sie die Zeche prellen. Ich warf ein paar Scheine auf den Tisch und stand auf.
Als ich hinaus in die feuchte Luft trat, schloss der Fahrer der Limousine gerade die Autotür hinter Mrs. Ming und setzte sich ans Lenkrad. Das Ganze musste so sorgfältig getimt sein wie ein Schuss. Ich musste über die Straße rennen, ohne von einem anderen Auto oder einem Fahrrad angefahren zu werden.
Ich zog mein Handy heraus und studierte das Display: die elektronischen Scheuklappen unserer Zeit. Meine Daumen drückten auf dem Touchscreen herum, als würde ich die dringendste Nachricht aller Zeiten verfassen. Während ich darauf achtete, im toten Winkel des Fahrers zu bleiben, schaute ich scheinbar nach unten. Dann riskierte ich einen kurzen Blick. Ein Taxi brauste auf mich zu, doch ich hatte noch genug Platz. Der Fahrer dachte offenbar, ich würde meine Schritte beschleunigen. Die New Yorker Taxifahrer sind wiedergeborene Kamikazepiloten und erwarten, dass man ihnen selbstverständlich ausweicht.
Die Limousine setzte sich in Bewegung, und ich trat ihr in den Weg. Der rechte Kotflügel stieß durchaus schmerzhaft gegen mein Bein, und ich schrie und ließ mich auf die Straße fallen, so theatralisch wie ein Fußballer, der eine rote Karte für den Gegner herausschinden will. Das Taxi kam etwa einen halben Meter vor meinem Kopf zum Stehen; ich sah mein verzerrtes Spiegelbild in seinem frisch gewaschenen Kotflügel.
Beide Fahrer sprangen aus ihren Autos, doch der Chauffeur der Limousine sagte kein Wort, was ziemlich ungewöhnlich war. Man würde erwarten, dass er seine Unschuld beteuerte oder seine Anteilnahme, aber er betrachtete mich nur mit einer unerschütterlichen Gleichgültigkeit. Der Taxifahrer hingegen brüllte mich in einem stark hebräisch gefärbten Englisch an.
Ganz anders der Portier. Er sprang besorgt herbei und kniete sich zu mir. » Sir? Sind Sie okay?«
» Ohhh«, stöhnte ich. » Mein Bein.«
» Sie sind mir direkt vor den Wagen gelaufen«, rechtfertigte sich der Chauffeur. » Es ist Ihre Schuld. Sie können nicht über die Straße rennen, ohne zu schauen.« Er sprach mit einem leichten osteuropäischen Akzent.
Sandra Ming blieb in der Limousine sitzen.
» Sie haben ja recht«, sagte ich. Der Portier half mir auf die Beine. » Ich… ich glaube, es ist nichts passiert.«
Der Chauffeur und der Portier wechselten einen kurzen Blick. Der Portier schien auszudrücken: Ich glaub nicht, dass der Typ klagen wird, wenn wir ihm helfen. Der Blick des Fahrers schien zu sagen: Ist mir egal. Er sah aus, als hätte es ihm nichts ausgemacht, mich zu überfahren wie eine Bodenschwelle.
Der Taxifahrer stand unsicher da. » Gut, dass Sie wenigstens aufgepasst haben«, sagte ich zu ihm. » Im Gegensatz zu anderen.«
Das war das Signal: Ich warf dem Chauffeur der Limousine den Fehdehandschuh hin. Er richtete seinen stahlharten Blick auf mich, während mich der Portier zum Bürgersteig führte. Hinter dem Taxi staute sich bereits der Verkehr, die unendliche Geduld der New Yorker machte sich in vielstimmigem Hupen bemerkbar. Als der Taxifahrer sah, dass sich der Portier um mich kümmerte, stieg er wieder ein.
Vier Autos hinter ihm sah ich Leonie in einem silbernen Prius. Ihr Blick drückte Nervosität gepaart mit einer Entschlossenheit aus, wie sie nur besorgte Eltern haben.
Auf zittrigen Beinen trat ich auf den Bürgersteig. » Mir fehlt nichts«, versicherte ich. Normalerweise würde man den Fahrer nach seinem Führerschein oder seiner Telefonnummer fragen, für den Fall, dass man doch verletzt war. Ich überlegte auch, ob ich es tun sollte, verzichtete aber darauf, weil ich den Kerl damit wahrscheinlich misstrauisch gemacht hätte. Er beäugte mich wie die
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