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Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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weiterexistieren.
    Das ganze dauerte keine fünfzehn Minuten, auch wenn es den verängstigten Bewohnern von Anubis City wie Stunden vorkommen mochte. Um Europa selbst kümmerte man sich erst, als alles vorüber war.
    Die Große Mauer war verschwunden; erst nach fast einer Stunde kam von der Erde, vom Mars und vom Mond die Nachricht, auch die Sonne habe sekundenlang geflackert, um dann normal weiterzuscheinen.
    Die Verfinsterungen hatten sich eindeutig nur gegen die Menschheit gerichtet. Sonst hätte niemand im Sonnensystem etwas davon bemerkt.
    Die Aufregung war so groß, daß es eine ganze Weile dauerte, bis die Welt erkannte, daß auch TMA-0 und TMA-1 sich davongemacht hatten. Im Tycho-Krater und in Afrika waren nur die vier Millionen Jahre alten Abdrücke zurückgeblieben.
     
    Es war sicher das erste Mal, daß die Europs mit Menschen zusammentrafen, aber sie schienen weder überrascht noch erschrocken über die Kolosse, die sich mit so rasender Schnelligkeit bewegten. Wobei es natürlich nicht ganz einfach war, die Gemütsverfassung von Wesen zu ergründen, die aussahen wie kleine Sträucher ohne Blätter und allem Anschein nach weder über Sinnesorgane, noch über ein Kommunikationsmittel verfügten. Aber wenn ihnen die Landung der
Alcyone
und die aussteigenden Passagiere angst gemacht hätten, wären sie vermutlich in ihren Iglus geblieben.
Während Frank Poole, durch den Raumanzug und das Gastgeschenk, eine Rolle blanken Kupferdrahts, in seiner Bewegungsfreiheit etwas eingeschränkt, durch die ungepflegten Vororte von Tsienville ging, überlegte er, was die Europs wohl von den jüngsten Ereignissen halten mochten. Von der Luzifer-Eklipse hatte man hier zwar nichts bemerkt, aber das plötzliche Verschwinden der Großen Mauer mußte doch ein Schock gewesen sein. Schließlich hatte sie seit Ewigkeiten am gleichen Fleck gestanden, Schutz und Schild für die Stadt und sicher noch sehr viel mehr. Und nun war sie mit einem Mal fort, als hätte es sie nie gegeben … Das Petabyte-Täfelchen wartete schon auf ihn. Eine Gruppe von Europs stand darum herum. Es war das erste Mal, daß sie so etwas wie Neugier an den Tag legten. Hatte HALman ihnen vielleicht aufgetragen, das Geschenk aus dem All zu bewachen, bis er, Poole, kam, um es zu holen? Und es zurückzubringen an den einzigen Ort, wo es in Sicherheit war. Denn jetzt enthielt es nicht nur einen schlafenden Freund, sondern auch viele Schrecken, die man erst in künftigen Zeiten würde bannen können.

40
Mitternacht: Am Pico
    Friedlicher könnte die Szene kaum sein, dachte Poole – besonders nach den letzten, traumatischen Wochen. Die Erde stand fast voll am Himmel, und ihr schräg einfallendes Licht ließ jede Einzelheit des Mare Imbrium, des Regenmeeres, deutlich hervortreten – anstatt alles auszulöschen wie das grelle Feuer der Sonne.
    Der kleine Mondmobilkonvoi hatte hundert Meter vor dem Eingang zum ›Gewölbe‹, einer unscheinbaren Öffnung im Fuß des Pico, einen Halbkreis, gebildet. Von seinem Platz aus hatte Poole den ganzen Berg im Blick. Der Pico wurde dem Namen nicht gerecht, den ihm die ersten Astronomen, verführt durch seinen spitzen Schatten, gegeben hatten. Er war eher ein runder Hügel als ein schroffer Gipfel, und Poole konnte sich gut vorstellen, daß Fahrradfahrten auf die Kuppe hier ein beliebtes Freizeitvergnügen waren. Freilich hatte bisher niemand von den Radfahrern und Radfahrerinnen geahnt, was für ein Geheimnis unter ihren Reifen verborgen lag; hoffentlich würde ihnen das grausige Wissen den gesundheitsfördernden Sport nicht verleiden.
    Vor einer Stunde hatte er, ein Augenblick der Trauer wie des Triumphs, das Täfelchen übergeben, das er – ohne es jemals aus den Augen zu lassen – von Ganymed direkt zum Mond gebracht hatte.
    »Lebt wohl, meine Freunde«, hatte er gemurmelt. »Ihr habt richtig gehandelt. Vielleicht erweckt euch eine spätere Generation wieder zum Leben. Aber hoffen – will ich es nicht.«
    Ein Grund, warum die Menschheit in größter Verzweiflung auf HALmans Wissen zurückgreifen könnte, war ihm nur allzu präsent. Inzwischen war gewiß eine Botschaft abgesetzt worden, um der geheimnisvollen Zentrale zu melden, daß ihr Diener auf Europa nicht mehr existierte. Wenn nicht allzuviel dazwischenkam, war in etwa 950 Jahren mit einer Antwort zu rechnen.
    Poole hatte Einstein früher oft verflucht; jetzt pries er ihn. Man konnte davon ausgehen, daß selbst die Macht, die hinter den Monolithen stand, ihren Einfluß

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