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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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ruhig, dann passiert Ihnen nichts.«
    Die Frau begann hysterisch zu weinen. Amadeo ließ sie stehen. Er konnte ihr nicht helfen, er war nur eine Gefahr für sie.
    »Monsignore!«
    Ihre Stimme verhallte, während er durch das Halbdunkel der Gänge stolperte. Die Unterkirche von San Pietro war eine verwirrende Anlage. Da gab es die Kapelle des heiligen Petrus mit einem Umgang, der in mehrere Nebenräume führte. Von dort entfernte er sich jetzt und ging hinab in ein unterirdisches Längsschiff voller Nischen und Nebenkapellen, die sich auf kurze, gedrungene Säulen stützten, auf denen mit erdrückender Schwere der Marmorboden des Domes lastete. Amadeo hatte Mühe zu atmen.
    Er erahnte Menschen zwischen den schweren Grabmalen lang verstorbener Päpste. Zu seiner Linken entdeckte er eine schlichtere Anlage, eine einfache Marmorplatte: IOANNES PAVLVS PP. II. Dort also lag Wojtyla. Dahinter ging es einige Stufen hinab. Mehrere Hände streckten sich aus dem düsteren Zwielicht nach Amadeo aus und berührten den Saum seiner Soutane wie eine Kraft spendende Reliquie.
    »Monsignore!« Eine Stimme, die raue Stimme einer alten Frau. Eine Amerikanerin, dem Akzent nach zu schließen. »Monsignore, mein Mann stirbt!«
    Amadeo wollte an der Frau vorbei, doch er konnte nicht. »Ist denn kein Arzt hier unten?«, flüsterte er. »Haben Sie gefragt?«
    »Ein Arzt kann ihm nicht mehr helfen.« Die alte Dame kniete am Boden. Jetzt richtete sie sich ein Stück auf, und Amadeo blickte in das schmerzverzerrte Gesicht eines älteren Herrn, der flach auf dem kalten Marmor lag. Ein junger Mann hatte den Kopf des Sterbenden in seinen Schoß gebettet. Sein Sohn vielleicht. Auf dem Körper des Verletzten lag eine helle Sommerjacke, die über dem Bauch bereits dunkel von Blut war.
    »Bitte«, hauchte die alte Frau. »Mein Mann ist gläubiger Katholik. Die Krankensalbung.«
    Amadeo erstarrte.
    »Bitte!«, drängte die Frau.
    »Ich kann nicht«, sagte Amadeo rau. »Ich bin nicht... Ich...« Er schluckte. »Ich habe kein Öl bei mir, kein...«
    »Bitte!«, flehte die Frau noch einmal. »Tun Sie... irgendetwas.«
    Sie waren hinter ihm, ganz nah hinter ihm! Er wusste es. Selbst wenn sie zuerst die anderen Flüchtlinge kontrollierten, würden sie ihn in kürzester Zeit eingeholt haben. Und dennoch...
    Ohne dass er sich bewusst dazu entschlossen hatte, sank Amadeo neben dem Sterbenden nieder. Der Schmerz, als seine blutenden Knie den Boden berührten, raubte ihm beinahe das Bewusstsein.
    »Hier.« Eine Stimme von der Seite. Dort stand eine junge Frau, das Gesicht blass wie bei allen Menschen hier im Raum. »Nehmen Sie das, von meiner Kleinen.«
    Sie drückte ihm etwas in die Hand, ein kleines Plastikfläschchen. Es war Babyöl.
    Amadeo schluckte schwer. Mit zitternden Fingern machte er eine segnende Geste über dem Öl und führte das noch verschlossene Fläschchen kurz an die Lippen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie ein Priester das Krankenöl zu segnen hatte, aber auf den angespannten Gesichtern seiner Beobachter bemerkte er keinerlei Misstrauen.
    Er kam sich vor wie ein Hochstapler. Er war ein Hochstapler, doch... Gib, dass ich das Richtige tue, dachte er, und in diesem Moment kam, von woher auch immer, eine seltsame Gelassenheit, eine Gewissheit über ihn.
    Zitternd hob der alte Mann die Hand. Seine Frau musste sie führen, damit er das Kreuzzeichen schlagen konnte. »Im... Namen...«, begann der Sterbende. Dann verließ ihn die Kraft zum Sprechen.
    »Gott der Herr, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit«, murmelte Amadeo. Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder.
    »Amen!«, stieß der Sterbende hervor. Sein Atem ging stockend, und Amadeo spürte, dass er sich nur noch wegen des bevorstehenden Sakraments ans Leben klammerte.
    »Mein Sohn«, fragte er leise, »bereust du deine Sünden, in Worten und Gedanken?«
    Mit Sicherheit waren das nicht die richtigen Worte, doch seitdem alter und neuer Ritus nebeneinander existierten, war das vielleicht sowieso nicht mehr so wichtig. Wichtig war dieser Mann vor ihm, der unter Schmerzen ein »Ja! Ich bereue!« über die Lippen brachte. »Herr...« Ein keuchender Atemzug. »Erbarme dich!« Seine Augen weiteten sich.
    »Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden.« Amadeo redete jetzt rasch, und er war sich nicht sicher,

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