Die letzte Offenbarung
Feuer. Das würde eine hübsche Narbe geben — wenn er lange genug lebte.
Sein Schädel dröhnte. Es fiel ihm schwer, klar zu denken.
Niketas und seine Männer mussten irgendwie auf die Galerie gekommen sein und von dort über die Treppe. Oder es gab am Fuß der Treppe einen Eingang von außen her. Amadeo fluchte innerlich. Auf die Idee war er überhaupt nicht gekommen. Er hätte jetzt draußen sein können, in Sicherheit.
Dieser Weg kam nun nicht mehr infrage, denn er führte zwischen den Fronten hindurch. Auch an den Portalen wurde nach wie vor gekämpft. Bracciolinis Männer hatten sich zwischen den Marmorsäulen verschanzt. Natürlich hatten sie letztlich keine Chance — die polizia und das Militär konnten unbegrenzt Verstärkung heranholen. Doch die Kräfte des Staates würden mit aller Zurückhaltung vorgehen. Wer schoss schon ohne Not mit schwerem Gerät auf einen der heiligsten Orte der Christenheit?
Die Männer des Kardinals konnten lange durchhalten — zu lange für Amadeo. Im Zwielicht des Kirchenraumes sah er jetzt, wie durch eine Tür an der gegenüberliegenden Wand eine neue Gruppe von Bewaffneten ins Innere von San Pietro stürmte. Er strengte seine Augen an. — Görlitz! Das waren die Männer, gegen die sich Rebecca zur Wehr gesetzt hatte. Bedeutete das, sie hatten sie... Nein. Noch immer weigerte er sich, daran zu glauben. Chiara di Tomasi konnte er nirgends ausmachen.
Langsam wich er an der Wand entlang zurück, Schritt für Schritt, ohne sich umzudrehen. Noch hatten sie ihn nicht entdeckt, noch sahen sie sich suchend in der Basilika um. Der Kirchenbau war nicht leer. Einzelne Menschen, die es nicht mehr ins Freie geschafft hatten, lagen reglos zwischen den Bankreihen für die Gläubigen. Entweder waren sie tot, oder sie gaben sich diesen Anschein. Vermutlich war das ihre einzige Chance, das Inferno, das über den Vatikan hereingebrochen war, durchzustehen. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sich ebenfalls ein Versteck zwischen den Bänken zu suchen und sich tot zu stellen. Doch was, wenn Bracciolinis Männer auf die Idee kamen, die vermeintlich Toten zu überprüfen?
Im nächsten Augenblick wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Die Männer, die sich das Feuergefecht mit Niketas' Anhängern lieferten, hatten ihre Verbündeten bemerkt.
Amadeo sah, wie sie unter lauten Rufen mit Händen und Füßen in seine Richtung wiesen. Die Stimmen brachen sich an den weiten Gewölben der Basilika, aber der Sinn war eindeutig.
Görlitz wandte sich um und blickte in Amadeos Richtung. Er war viel zu weit weg, trotzdem glaubte der Restaurator das triumphierende Grinsen auf der gegelten Visage ausmachen zu können. Ganz langsam hob der Deutsche den Arm und deutete auf Amadeo. Seine Worte konnte Amadeo deutlich verstehen, vielleicht, weil der Mann mit dem gegelten Haar in seine Richtung blickte. »Dort ist er!« Mit einem übermenschlichen Donnern hallte die Stimme durch den weiten Raum, als spräche Gottvater selbst sein Urteil. »Tötet ihn!«
In den Stanzen des Raphael hatte sich Amadeo noch gefragt, warum um alles in der Welt Bracciolini einen Mann, der zuerst in Weimar und dann in Köln als Restaurator gearbeitet hatte, mit einem so mörderischen Auftrag betraute. Dass man ihn in der Diözesanbibliothek in Köln auf Amadeo angesetzt hatte, war ja noch nachvollziehbar, aber warum hier, im Herzen der Christenheit? Sein alter Kollege konnte unmöglich eine derartige Größe in der Hierarchie des vatikanischen Geheimdienstes darstellen. Dabei war die Antwort gar nicht schwierig: Er kannte Amadeo besser als jeder andere, der in den Diensten des Kardinalstaatssekretärs stand. Allerdings zweifelte Amadeo keinen Augenblick daran, dass Görlitz auch als Killer seine Qualitäten hatte. Mit einer blitzartigen Bewegung hatte der Mann mit dem gegelten Haar seine Waffe gezogen und legte auf seinen einstigen Kollegen an.
Amadeo wich zurück und täuschte einen Schritt nach links an. Dann begann er zu laufen. Rings um ihn schlugen die Kugeln ein. Einige der Menschen zwischen den Stuhlreihen hatten ihre Totenstarre aufgegeben und begannen zu schreien, zu weinen.
»Ave Maria, gratia plena, benedicat tu in mulieribus...« Ein Ehepaar von mindestens achtzig Jahren kniete vor einem Altar. Tränen rannen den alten Leuten über die ausgetrockneten Wangen. Der Anblick erschütterte Amadeo zutiefst. Dieser verzweifelte, unbeirrbare Glaube inmitten dieser Hölle.
Was Sie da haben, kann nur zerstören. Es kann
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