Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Vergangenheit steht. Das passiert nur hier, beim dritten Siegel, und das bringt unversehens die Symmetrie des ganzen Textes ins Wanken, wenn die Stimme sagt:
Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu!
Wie deuten die Interpreten das?«
Liam überflog die Anmerkungen. »Ein Denar entsprach zu Zeiten des Johannes dem Monatslohn eines Soldaten. Als würde man sagen: Du gibst heute tausend Euro für ein Kilo Mehl aus.«
»Ein Schwarzmarktpreis wie in Kriegszeiten«, bemerkte Alanna. »Aber warum sagt er, man solle Öl und Wein nicht schädigen?«
Er suchte erneut in den Anmerkungen. Als er wieder aufsah, lag in seinem Blick Bewunderung: »Bravo, die Kommentatoren bringen einhellig Inflation und Hungersnot mit dem Krieg in Verbindung. Aber für den anschließenden Passus, den vom Öl und dem Wein, fehlt bis heute eine plausible Erklärung.«
»Vielleicht sind die anderen Stellen auf dem Mist des Presbyters gewachsen, während hier der Originalwortlaut von Johannesaufscheint. Ein Hinweis könnte gerade in dem Stilbruch liegen. Für einen Rätselfreund ein glasklares Zeichen. Für jemanden, der darin geübt ist, Worte hinter anderen Worten zu verbergen.«
Liam starrte sie einen endlos erscheinenden Moment lang an, dann wandte er sich wieder dem Buch zu, las den Passus, blätterte ein paar Seiten zurück und kam wieder bis zu dieser Stelle. Er war verblüfft, noch hatte er Alannas Gedankengang nicht begriffen, aber er wusste, dass er ihm nachgehen sollte.
»Mein Gott«, murmelte er. »Vielleicht haben wir etwas gefunden. Wenn deine Interpretation jedoch richtig ist, was soll dann bedeuten:
Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu
?«
Alanna war in Gedanken versunken, sie schien zu meditieren.
Nach einer langen Pause sagte sie fast flüsternd: »Liam, wenn du ein Palästinenser im ersten Jahrhundert nach Christus gewesen wärst und hättest das Erdöl beschreiben sollen, wie hättest du es genannt?«
Liam überlegte: »Tatsächlich kommt das Wort ›Erdöl‹ in der Bibel nirgendwo vor. Aber das bedeutet nicht, dass sie es nicht gekannt hätten: In der Genesis kommt das Wort ›Pech‹ zwei Mal vor. Das erste Mal, als Noah die Schiffsplanken der Arche abdichtet, und das zweite Mal beim Turmbau zu Babel.«
»Danke für die Lehrstunde«, neckte Alanna ihn. »Aber Pech heißt
asphaltos
. Während das Wort Erdöl, also Petrolium, vom griechischen
petra
, Fels, und
elaio
, Öl, jüngeren Datums sind. Also, wenn dir der genaue Begriff nicht zur Verfügung gestanden hätte, du in einer verschlüsselten Prophezeiung aber von Erdöl hättest sprechen sollen, was hättest du verwendet?«
»Ich hätte nach einer Analogie gesucht.«
Alanna nickte und forderte ihn zum Weiterreden auf.
»Eine dunkle Flüssigkeit«, überlegte Liam, »zähflüssig und sehr fettig …«
»Dunkel wie was zum Beispiel?«
»Dunkel wie … Wein?«
»Genau.«
Liam hatte verstanden: »Na klar: dunkel wie Wein. Und zähflüssig und fettig wie Olivenöl!«
»Genau. Öl und Wein zusammen, um Erdöl zu beschreiben.«
»Folglich könnte Johannes, wenn er schreibt:
Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu
, von Krieg und Erdöl reden.«
»Sicher«, nickte Alanna. »Zum Beispiel vom Golfkrieg: Man bombardierte die Iraker, und aus den Bombern warf man Flugblätter ab, die die Leute davor warnten, die Öltürme zu sabotieren.«
»Und somit soll Johannes auf ein Ereignis anspielen, das erst viele Jahrhunderte später eintrat?«, mutmaßte Liam. In seiner Stimme schwang Zweifel mit. »Das würde Arius’ Worte bestätigen … ein Ereignis unserer Tage.«
»Und das ist nicht möglich?«
»Doch, warum nicht? Im Grunde ist es das, was Molteni schreibt: Der Prophet spricht von unserer Epoche.«
»Sicher. Und wiederum Molteni bestätigt es, wenn er schreibt, dass er diese Daten kannte«, unterstrich sie, stolz auf ihren Geistesblitz.
Liam starrte eine Weile wie versteinert ins Leere. Dann meinte er: »Es gibt noch eine andere Möglichkeit, Alanna …«
»Die wäre?«
»Es kann ein Zufall sein. Eine Laune des Schicksals. Kurz: ein Gedankengebäude, brillant, sicher, aber eben sehr weit hergeholt. Das allein reicht nicht als Beweis.«
»Kann sein«, gab Alanna zu. »Wenn jemand an Zufälle glaubt«, fügte sie dann provozierend hinzu.
Damit hatte sie einen Nerv getroffen. »Okay, also
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