Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
entkommen.«
»Wollen Sie etwa sagen, dass ein Rudel halbverhungerter Indios uns an der Nase herumführt?«
»Die sind unberechenbar, Mr. Hussayn. Und sie agieren im Verborgenen, wie Guerilleros.«
»Was braucht es, um sie loszuwerden?«
»Das ist nicht so einfach.«
»Und was könnte die Sache vereinfachen?«
»Wir brauchen ein bisschen Zeit.«
»Die haben wir nicht, Mr. Lozano. Wir müssen rasch handeln. Setzen Sie jedes Mittel ein.«
»Das werden wir tun.«
»Hat es Schäden an der Baustelle gegeben?«
»Nur die Laster, Mr. Hussayn.«
»Und Ingenieur Doornick?«
»Der ist das zweite Problem.«
»Das heißt?«
»Ingenieur Doornick ist verschwunden.«
60
Ort: Turin
Weltzeit: Samstag, 27. Juni. 20.51 Uhr (GMT)
Ortszeit: 22.51 Uhr
Das Sperrfeuer an Fragen, mit dem Bandar sie belegt hatte, war sehr kurz gewesen, hatte Alanna aber in abgrundtiefe Angst versetzt. Es hatte keinerlei Übergriffe gegeben, im Gegenteil: die Unterhaltung war freundlich und höflich geführt worden, als ob es sich nicht um ein Verhör, sondern eher um ein Bewerbungsgespräch gehandelt hätte. Der arabische Hüne hatte nur nach David und ZeroOne Code gefragt, wodurch er ihnen zum ersten Mal die Gewissheit verschaffte, dass sie denselben Entführern in die Hände gefallen waren.
Als Alanna schließlich versucht hatte, etwas über ihren Exmann zu erfahren, hatte sie im Gesicht des Arabers ein beinahe unsichtbares Zucken wahrgenommen – für ihren weiblichen Instinkt ein eindeutiger Hinweis, dass irgendetwas schieflief – oder schiefgelaufen war. Danach war der Mann sofort aufgestanden und hatte sich mit einer ausweichenden Bemerkung verabschiedet: »Sie werden etwas über ihn erfahren, sobald es mir gestattet ist, Sie zu informieren.«
Zurück in der Bibliothek, wo zwei Feldbetten auf sie warteten, konnte Alanna die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Hast du sein Gesicht gesehen, als ich David erwähnt habe?«, fragte sie Liam.
Er drückte sie fest an sich, und so blieben sie lange sitzen.Verwirrt spürte er, wie ihre Tränen an seinem Hals hinabrannen, und löste sich von ihr. So schwiegen sie mehrere Minuten lang, jeder in seine Gedanken versunken.
Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen, stürzten sie sich wieder auf die Apokalypse.
Liam begann, den lateinischen Text zu lesen, Alanna setzte sich mit der griechischen Version neben ihn. Die magische Spannung, die sich in den vorangegangenen Stunden eingestellt hatte, war jetzt noch stärker.
Sie stießen bald auf einen weiteren Passus, der ihnen den Atem verschlug. Wieder eine vierteilige Struktur und wieder ein Bruch auf der Stilebene mit plötzlichem Sprung in die Gegenwartsform des Verbs – »
Und der Name des Sterns heißt Wermut
.« – während alles andere in der Vergangenheit stand. War es erneut das Wort des Propheten, das den Schleier des Rätselschreibers zerriss?
Der fragliche Passus war die sogenannte dritte Posaune, wo Johannes von einem Stern erzählt, der brennend vom Himmel stürzt und Quellen und Flüsse vergiftet, woraufhin die Menschen, die das verseuchte Wasser trinken, sterben. Denn das Wasser ist zu Wermut geworden, der bitteren Essenz, die schon seit der Antike aus dem Beifuß destilliert wird.
Im ersten Moment hatte ihn die Frage, die Alanna ihm unvermittelt gestellt hatte, verwirrt. »Liam, weißt du, wie Beifuß auf Ukrainisch heißt?«
»Ukrainisch? Reicht uns nicht Latein?«
Alanna hatte wiederholt: »Weißt du, wie Beifuß auf Ukrainisch heißt?«
»Nein.« Er hatte den Kopf geschüttelt.
»Tschernobyl. Auf Ukrainisch heißt Beifuß ›tschernobyl‹. Die Stadt wurde nach der Pflanze benannt.«
»Unglaublich …«
»Das ist eine objektive, nicht zu widerlegende Tatsache«, unterstrich Alanna.
»Das kann kein Zufall mehr sein.«
»Nein. Es ist die Vorankündigung des Reaktorunglücks in Tschernobyl und der radioaktiven Verseuchung von Wasser und Erde!«
Diese unvorhergesehene Gewissheit traf ihn wie ein Keulenschlag. Sie hatten vielleicht den Schlüssel in Händen, um ein Rätsel zu lösen, das seit zweitausend Jahren allen Interpretationen widerstand, und zwar nicht irgendein Rätsel, sondern das des Weltendes. Und sie waren hier eingesperrt, ohnmächtig, und wahrscheinlich dem Tode geweiht.
Vielleicht wäre es besser gewesen, dachte er, das Buch zuzuschlagen und das Schicksal seinen Lauf nehmen zu lassen. Er stolperte wie benommen hinter diesen Gedanken her, bis Alanna ihn wachrüttelte.
»Und?«, fragte sie.
»Ich
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