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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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das gesprochene Wort. Zuerst schien die Magd in einer trällernden fremden Sprache zu sprechen. Dann nahm Grace die Münze, und die Worte des Mädchens wurden für sie verständlich.
    »Verzeiht mir, Mylady, aber ich fragte, ob Ihr etwas braucht.«
    »Nein. Nein, ich habe alles.«
    Die Magd machte einen Knicks und ging.
    Natürlich machte das Sinn. Warum sollten die Menschen einer anderen Welt Englisch sprechen? Es hätte ihr früher auffallen müssen. Aber irgendwie hatte die Münze die Sprache dieses Landes übersetzt, und sie hatte es nicht bemerkt. Grace betrachtete den auf ihrer Handfläche liegenden Münzenteil. Die halbierten eingravierten Symbole auf jeder Seite funkelten im Kerzenlicht, aber sie konnte ihnen keinen Sinn entlocken. Was auch immer sie darstellten, eines war jedenfalls sicher. Wer auch immer Bruder Cy war und woher auch immer er kam, er stand auf irgendeine Weise mit dieser Welt, mit Eldh, in Verbindung.
    Dieses Wissen warf nur eine Frage auf. Warum? Warum war er am Waisenhaus auf sie zugekommen? Oder kam ich zu ihm? Grace spürte, daß sie vieles verstehen würde, wenn sie die Antwort auf diese Frage kannte. Sie steckte die Münze wieder in den Beutel.
    Eigentlich war ihr dieses Gefühl ja fremd, aber am nächsten Morgen verspürte Grace eine seltsame Einsamkeit. Sie wünschte, Aryn wäre da, aber die Baronesse ging einer ihrer zahllosen Arbeiten nach. Sie trat ans Fenster, sah durch das gewellte Glas und beobachtete die Menschen da unten: Gutsherren, Adlige, Diener – sie alle hatten unbekannte Namen und Aufgaben.
    Grace holte tief Luft. Sie wußte, daß dieser Ort eine ganze Welt von Denver entfernt war. Und doch war sie gar nicht so anders als das Krankenhaus, oder? Im Denver Memorial hatte sie sich nie mit ihren Kollegen unterhalten, hatte nie an ihren improvisierten Korridorspielen oder den Plaudereien im Aufenthaltsraum teilgenommen. Sie hatte sich dort genauso gefühlt wie jetzt, wo sie den Burghof betrachtete – weit weg, nicht dazugehörend, eine teilnahmslose Beobachterin.
    Grace umklammerte die steinerne Fensterbank. Jenseits des Fensters gab es nichts für sie. Sie wollte sich abwenden …
     … und verharrte. Auf dem Oberen Burghof ging eine Gestalt auf den Stall zu. Der Mann war ganz in Schwarz und Grau gekleidet, und das Kettenhemd schien schwer auf seinen Schultern zu lasten. Selbst von hier oben konnte sie den langen schwarzen, herabhängenden Schnurrbart sehen, und daran erkannte sie ihn mit Sicherheit. Es war Durge, der Ritter, der sie im Wald gefunden hatte.
    Im Verlauf der letzten Tage hatte sie sich oft gefragt, was aus ihrem Retter geworden war. Sie hatte den embarranischen Ritter trotz – oder vielleicht auch wegen – seines düsteren Auftretens gemocht. Obwohl es ihr niemals leichtgefallen war, Freundschaften zu schließen, hatte sie es auf eine seltsame Weise enttäuscht, daß er ihr keinen Besuch abgestattet hatte, und sei es nur, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Durge war der Abgesandte König Sorrins von Embarr. Zweifellos kümmerte er sich darum, daß alles für den Empfang seines Lehnsherrn bereit war. Trotzdem wäre es schön, ihm wenigstens hallo zu sagen.
    Grace fummelte an dem Riegel herum und stieß das Fenster auf. Ein Schwall eiskalter Luft traf sie. Sie beugte sich weit hinaus, hob den Arm und öffnete den Mund, um dem unten gehenden Ritter etwas zuzurufen. Und dabei überkam sie die Furcht, dieselbe überwältigende Furcht, die sie immer verspürte, wenn sie mit anderen Menschen zu tun hatte. Gesunden Menschen. Sie erstarrte. Grace, das ist lächerlich. Es gibt keinen Grund, sich so zu fürchten. Er ist bloß ein Mann, das ist alles. Sie mobilisierte ihren Willen und wollte erneut rufen, aber da war es bereits zu spät. Durge war in den Schatten des Stalls getreten und aus der Sicht verschwunden. Sie senkte den Arm, ihre Hand schmerzte vor Kälte.
    Sie starrte auf den leeren Burghof. Warum fürchtete sie sich nur immer vor anderen? Sie dachte an den Mann, den sie im Krankenhaus erschossen hatte, den Mann, der Leon Arlington ermordet hatte, der ohne ihr Eingreifen die alte Frau in dem Rollstuhl getötet hätte – der Mann mit dem Stück Eisen in der Brust. Sie legte die Hand an das Oberteil ihres Gewandes, aber ihre Finger waren so kalt, daß sie nichts spürte. Vielleicht fehlte auch ihr das Herz. Vielleicht hatte man es ihr vor all den Jahren im Waisenhaus genommen, so wie man Detective Janson seins genommen hatte. Vielleicht war

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