Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
helfen Sie uns«, sagte Farr.
Deirdre berührte seine Hand. »Bitte, Travis.«
Er betrachtete den Ordner, schlug ihn auf und strich über die alten Papiere – Jacks Papiere. Er wollte nicht so wichtig sein. Es wurde ihm genauso aufgedrängt wie die Macht, die Jack ihm verliehen hatte. Doch Bruder Cy hatte recht. Man konnte sich nicht aussuchen, was einem das Leben brachte. Aber man konnte sich entscheiden, was man damit anstellen wollte.
»Also gut, ich …«
Er stockte, als sein Blick an etwas hängenblieb. Ein Stück Papier, das aus dem Ordner ragte. Travis konnte nur ein paar Worte ausmachen, aber sie genügten, daß er die Seite hervorzog. Es war ein Gedicht – nein, ein Lied. Die Worte waren mit zittriger Handschrift geschrieben, aber sie waren so vertraut, daß er die ersten Zeilen mühelos lesen konnte.
Wir leben unser Leben, als wär’s ein Kreis,
wir wandern drauflos und voraus …
Er legte die Seite hin und sah auf. Er konnte sich seinen Gesichtsausdruck nur vorstellen, aber sowohl Farr als auch Deirdre traten einen Schritt zurück.
Deirdre schüttelte den Kopf. »Travis, was ist los?«
»Ihr wollt mich benutzen.« Er sagte es ganz leise.
Farr warf Deirdre einen besorgten Blick zu. Sie öffnete den Mund und suchte nach Worten.
Travis stand auf. »Das Lied. Feuer und Staunen. Du hast gesagt, du hättest es in Minnesota gelernt. Aber das stimmt nicht.« Er schlug mit der Hand auf den Ordner. »Du hast es hier gelernt, aus Jacks Papieren. Du hast es im Saloon gespielt, nur um meine Reaktion zu sehen.«
Deirdre sah ihn betroffen an. »Es tut mir leid, Travis. Ich wollte dich nicht manipulieren. Aber ich mußte wissen, ob du das Lied erkennst. Es gab keine andere Möglichkeit.«
Sie griff nach ihm, aber er wich zurück. Sie können keinen anderen Menschen jemals richtig kennen …
»Doch, die gab es«, sagte er. »Man hat immer die Wahl. Du hättest mich fragen können.«
Sie trat einen Schritt auf ihn zu, aber er wich wieder zurück.
»Bitte, Travis, geh nicht.« In ihren dunklen Augen stand Angst geschrieben, aber ob sie ihm galt oder ihr selbst, war unmöglich zu sagen.
Farr hatte sich nicht gerührt. »Da wartet eine große Entdeckung, Mr. Wilder. Und sie wird gemacht werden. Sie können das, was Sie erfahren haben, nicht für alle Zeiten verbergen. Helfen Sie uns dabei, diese Entdeckung aus den richtigen Gründen zu machen, nicht aus den falschen.«
In Travis stieg rasende Wut auf. Wer waren sie, daß sie so etwas von ihm verlangten? Hier ging es schließlich nicht um ein seltenes Artefakt, das sie ausgraben wollten. Es war eine Welt: eine Welt mit lebendigen, atmenden Menschen. Sie unter die Lupe zu legen, sie wie einen Schmetterling an eine Tafel zu stecken – wieso sollte das besser sein, als alles in Metall und Plastik zu zermahlen?
»Nein«, sagte er. »Sie verstehen nicht. Ich lasse mich von Ihnen nicht dazu benutzen, dorthin zu gelangen. Sie nicht – und auch keinen anderen.«
Bevor sie ihm eine Antwort geben konnten, hatte sich Travis umgedreht und lief durch die finstere Oper in die Nacht hinaus.
13
» Wir müssen ihm hinterher.«
Deirdre schnappte sich ihren Helm und nahm ein Paar fingerlose Handschuhe heraus.
Hadrian runzelte die Stirn. »Sind Sie so davon überzeugt, die Natur dessen zu kennen, was wir hier gefunden haben?«
Deirdre riß an den Handschuhen. »Nein, wir wissen es nicht, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Travis könnte in Gefahr schweben. Wer weiß schon, was Duratek mit ihm anstellt, falls sie ihn in die Hände bekommen?«
Hadrian verschränkte die Arme, und seine Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. »Im Moment bin ich nicht davon überzeugt, daß er mehr von uns hält als von ihnen.«
»Dann werde ich das eben ändern.« Sie hob den Helm, um ihn aufzusetzen.
»Also gut. Ich setze mich mit den Suchern in Verbindung und lasse sie wissen, daß Sie entschieden haben, daß das Desiderat Drei unwichtig geworden ist. Bestimmt streichen sie es nur zu gern aus dem Buch.«
Deirdre zuckte zusammen und senkte den Helm.
Hadrian trat einen Schritt auf sie zu. »Ein Sucher sucht, greift aber nicht ein. Sie haben diese Regel bereits schon einmal gebrochen, indem Sie sich zwischen Mr. Wilder und Duratek stellten. Wollen Sie diese Übertretung noch verschlimmern? In der Vergangenheit neigten die Philosophen stets dazu, diejenigen mit Nachsicht zu behandeln, die die Desiderate verletzten und dann ausreichende Reue zeigten. Allerdings
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