Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
Schritt auf Durge zu. Der Embarraner wich zurück. Garf näherte sich dem Tier mit erhobenem Schwert und grimmigem Gesichtsausdruck vorsichtig von hinten.
Ob der Bär den jungen Ritter gerochen oder gehört hatte, war unmöglich zu sagen. Er wirbelte mit gesträubtem Fell herum und brüllte Garf an. Man konnte an seinen monströsen Zähnen vorbei in seinen tiefen Rachen blicken. Garf hob das Schwert.
»Nein, Sir Garfethel!« rief Durge. »Bewegt Euch nicht!«
Durges Worte kamen zu spät. Garf stieß mit der Klinge zu. Der Schwert versank tief in der Brust des Bären – so tief, daß das Tier eigentlich sofort hätte sterben müssen –, aber der Bär fiel nicht. Er gab ein schreckliches Kreischen von sich, machte einen Satz nach vorn und riß Garf das Schwert aus der Hand. Garf sah ungläubig zu, wie sich die Bärenschnauze über seine Schulter senkte.
Dann schrie der junge Ritter auf.
Die Welt schien stehenzubleiben. Der Bär schüttelte den gewaltigen Kopf, und Garf wurde schlaff herumgeschleudert wie eines der kleinen Seilmännchen, mit denen Grace manchmal die Dorfkinder spielen sah. Der Bär warf ihn zu Boden, legte eine Tatze auf seinen Bauch und riß mit einer beinahe lässigen Bewegung an seinem Fleisch. Garfs Schreie verstummten.
Gerade als Grace geglaubt hatte, der Augenblick würde sie in den Wahnsinn treiben, zersplitterte er. Durge warf sich vorwärts und trieb das Breitschwert mit beiden Händen in den Bärenrücken. Ein nüchterner Teil von Grace wußte die chirurgische Präzision des Stoßes zu schätzen. Ja genau – zwischen zwei Rippen hindurch, auf die Mitte gezielt, an der Lunge vorbei. Sie konnte den Moment sehen, in dem die Schwertspitze das Bärenherz durchbohrte. Der massige Körper des Tieres erschlaffte, es sackte zu Boden. Der Bär nahm noch einen zitternden Atemzug. Rote Bläschen schäumten an den Klingen vorbei, die in seinem Körper steckten. Dann kam die Stille des Todes.
»Mylady …«
Das Wort war kein Ruf, aber es erregte trotzdem sofort Graces Aufmerksamkeit. Sie riß den Blick von dem Kadaver los. Durge kniete neben einer zusammengekrümmten, blutigen Gestalt.
»Mylady, ich glaube, Ihr solltet Euch das hier besser ansehen.«
21
Alles hatte sich verändert; der idyllische Ritt durch den Sommer war vorbei. Durge streckte die Hand nach Garf aus, dann zog er sie wieder zurück. Grace verstand. Es gab nichts, was der Ritter oder sein Schwert hier tun konnten. Das war jetzt ihre Schlacht.
Sie rutschte von Shandis’ Rücken – die Bewegung war ganz einfach, als hätte sie die ganze Zeit schon gewußt, wie sie es anstellen mußte – und näherte sich den beiden Rittern. Sie war sich bewußt, daß Lirith ihr folgte und Aryn auf ihrem Pferd blieb; die Baronesse saß wie gelähmt da und starrte mit schneeweißem Gesicht geradeaus. Dann hatte Grace die beiden Männer erreicht.
Furcht schloß sich um ihr Herz wie ein kalte medizinische Stahlzange, aber das dauerte nur eine Sekunde. Wenn Garf eine Chance bekommen sollte, dann durfte er ihr nichts bedeuten. Er war nur ein weiteres namenloses Opfer, das man aus einem zu Schrott gefahrenen Auto oder einem umgestürzten Bus geholt und auf einer Trage in die Notaufnahme des Denver Memorial Hospitals brachte. Sie würde ihn wieder zusammenflicken und dann in den Aufenthaltsraum der Assistenzärzte gehen und eine Tasse schlechten Kaffee trinken und in dem altersschwachen Fernseher Elizabeth Montgomerys Possen in einer Wiederholung von Verliebt in eine Hexe ansehen. Sie ging neben dem Patienten in die Hocke, und der metallische Blutgeruch stieg ihr in die Nase und löste eine Kettenreaktion an Instinkten aus.
»Ich brauche vier Einheiten Null-negativ.«
»Mylady?« Durge sah sie nichtbegreifend an.
Sie schüttelte den Kopf. Natürlich. Das hier war nicht die Notaufnahme. Das hier war ein bewaldetes Tal drei Meilen von einem mittelalterlichen Schloß entfernt auf einer Welt, die nicht die Erde war. Aber das spielte keine Rolle. Es kam nur darauf an, was sie und die anderen Ärzte und Schwestern taten – nicht auf Wände, Traumräume oder den Namen des Ortes.
»Mylady, ich glaube, er atmet nicht.«
Grace beugte sich über den Patienten. Da war eine Menge Blut, und Wunden an der rechten Schulter und auf der Brust und dem Abdomen. Aber darauf konzentrierte sie sich nicht.
LAK. Luftwege, Atmung, Kreislauf.
Sie hatte diese Worte während ihrer Zeit als Assistenzärztin so oft wiederholt, daß sie genausogut mit einem Skalpell
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