Die letzte Schlacht
Arducius. Tut, was immer ihr könnt, um Gorian aufzuspüren. Uns läuft die Zeit davon. Wir haben schon zu viele Menschen verloren.«
Mirron half Arducius, der vor Schmerzen keuchte, beim Aufstehen. Er war kreidebleich, und auf der Stirn stand ihm kalter Schweiß. Jhered kniete nieder und nahm Ossacer auf die Arme.
»Du bist nicht gerade leichter geworden«, sagte er.
Ossacer schwieg. Er atmete unregelmäßig, und sein Kopf kippte kraftlos gegen Jhereds Schulter. Der Schatzkanzler wandte sich nach Westen, wusste aber im Grunde nicht, wohin er gehen sollte. Hinter ihnen ertönte ein schmatzendes Geräusch, einer Welle ähnlich, die am Strand über Muscheln und Sand läuft, jedoch viel stärker, gedehnter und bösartiger. Wie der Atem des Todes.
Jhered drehte sich mit seiner Last um und betrachtete die Landschaft. So weit das Auge reichte, sah er Schlamm. In der Ferne raste immer noch die Welle dahin, und die Dampfwolke bildete den Wellenkamm. In der Nähe, am Rand des Lagers, entdeckte Jhered Bewegungen. Er schluckte und wich zurück.
»Oh nein.«
Hände reckten sich zum Himmel, Köpfe erhoben sich aus dem Schleim. Körper, von denen der Dreck tropfte, richteten sich auf und standen auf schwankenden Beinen. Flüchtlinge und Soldaten. In der Ferne regten sich größere Umrisse. Pferde. Sie alle standen auf. Tausende, wenn nicht Zehntausende. Wie ein Wesen drehten sie sich um und marschierten nach Westen. Schwankend und mit unkoordinierten Gliedmaßen, mit pendelnden Köpfen. Das sagte Jhered genug.
Er drehte sich um und lief rasch über den glitschigen Boden.
»Ardu, Mirron, kommt mit und schaut euch nicht um.«
»Warum nicht?« Ardu tat es natürlich trotzdem.
Jhered musste schon wieder stehen bleiben. Arducius konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen.
»Die Toten kommen. Alle.«
Die Jubelrufe blieben den Menschen im Hals stecken. Einige Kämpfer, die ihre Speere und Schwerter über den Köpfen geschwenkt hatten, ließen mutlos die Waffen sinken. Die Toten vor den Mauern hatten sich nicht gerührt, doch die Siegeslieder in den Lagern und auf dem Gelände dahinter waren verstummt. Jetzt erfüllte ein Grollen die Luft. Die Fundamente der Juwelenmauer bebten, und die ersten Schreie ertönten.
Roberto eilte zur Rückseite des Tores und blickte durch eines der fest montierten Spähgläser. Er richtete es auf den Horizont und dann wieder nach unten, um in einem weiten Bogen die Landschaft zu erkunden. Was er entdeckte, jagte ihm trotz der warmen Genastrosonne einen kalten Schauer durch die Knochen. Dort rannten Menschen. Panische Menschen, die keinen klaren Gedanken mehr fassen konnten und chaotisch durcheinanderliefen. Legionäre stießen langsamere Bürger einfach zur Seite. Flüchtlinge kletterten über andere, die gestürzt waren, einfach hinweg. Sie hatten alles außer dem Selbsterhaltungstrieb vergessen. Ihre Gesichter waren zu Grimassen verzerrt, sie schrien, sie rannten, holten Luft und schrien weiter. Ein Mann stolperte und wurde von den anderen niedergetrampelt, die zu verängstigt waren, um sich zu bücken und ihm zu helfen.
Die Menschen verhielten sich wie eine Herde wilder Tiere, und Roberto konnte ihnen nicht einmal einen Vorwurf machen. Denn hinter ihnen hatte sich die Erde selbst erhoben und griff sie an. Von Horizont zu Horizont breitete sich die Welle in rasender Geschwindigkeit aus; bald würde sie gegen die Gawberge schwappen und dort durch die Täler donnern, bis sie den Iyresee erreichte, und jedes Lebewesen vor der Juwelenmauer vernichten.
»Nicht schon wieder. Gott umfange mich, nicht schon wieder.« Roberto sank auf die Knie, legte eine Hand auf den Stein und hob die andere Hand zum Himmel. »Guter allwissender Gott, Retter und Erlöser deiner Gläubigen, erlöse uns von diesem Schicksal. Zeige uns den Weg zum Sieg, damit deine Erde für deine Kinder sicher ist.«
Eine Erschütterung lief durch die Festung, die viele Soldaten straucheln ließ. Das ganze Gebäude bebte heftig, die Onager schaukelten auf dem Dach. Lose Steine rollten umher. Roberto richtete sich wieder auf. Die Erdwelle, höher als zwei Männer, raste im Westen am Horizont dahin. Dampf und Staub stiegen auf. Unaufhaltsam schlug die Welle über Mensch und Tier zusammen. Als das Beben allmählich nachließ, drehte Roberto sich um und lief zu Davarov und Harban zurück, die sich an die Mauerzinnen geklammert hatten.
»Haltet euch um jeden Preis irgendwo fest«, rief er. »Was auch geschieht, lasst nicht los.
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