Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
– er war das genaue Gegenteil des Arztes, der er zu sein behauptete.
Der Magen knurrte ihm, und so schloss er die Augen und ließ sich einen Moment lang völlig gehen. Er dachte über Rosa nach. Eine trügerisch kleine Frau mit dem Körperbau einer Kämpferin, die dennoch faszinierende Anflüge von Sanftheit verriet. Irgendetwas an ihr verleitete ihn zu sündhaften Gedanken.
Statt über alles an ihr zugleich nachzusinnen – was so gewesen wäre, als ob man alle Weihnachtsgeschenke auf einmal so schnell wie möglich aufriss –, entschied er sich für ihre Lippen. Erst einmal nur ihre Lippen. Ein hämisches oder überhebliches Lächeln war nicht gerade der Stoff, aus dem Gedichte waren, aber Shakespeare hatte ja auch nie ein Lächeln wie ihres gesehen. Auf ihrer Oberlippe hatten Schweißperlen gestanden, während die volle Unterlippe rissig gewesen war – oder vielleicht ein wenig zerkaut. War sie oft nervös? Verschaffte sie sich so Erleichterung?
Er konnte es nicht abwarten, mehr von ihr zu sehen. Sie war eine saftige Frucht inmitten der Wüste.
Wortwörtlich.
Natürlich wurde sein Glied steif. Acht Monate der Askese waren eine lange Zeit. Die letzte Frau war namenlos gewesen, jemand, mit dem er nur geschlafen hatte, um sich Erleichterung zu verschaffen und eine Unterkunft für die Nacht zu haben. Sie hatte ihm ihren Namen nicht genannt, und er hatte sie nicht danach gefragt. Solche Begegnungen hatten seine einsamen Jahre geprägt. Die letzte liebevolle Berührung, die er erfahren hatte, war von Ange gekommen – die nun tot war, weil er versagt hatte. Er atmete mühsam aus. Seine aufkeimende Erregung brach in sich zusammen. Als er die Augen öffnete, fand er nur noch mehr Dunkelheit, aber selbst die war besser als Erinnerungen an Blut.
Wie viele Stunden waren schon vergangen? Chris fragte sich, wie lange Jenna es wohl ausgehalten hätte, gefesselt und verlassen im Dunkeln zu sitzen, bevor sie zur Wölfin geworden wäre. Gehörig länger als bloße acht Stunden. Ganz gleich, wie gut und erfolgreich Rosa ihre kleine Wüstenstadt organisiert hatte, sie war nicht sicher – nicht wenn man sich dort auf Aberglauben und unzutreffende Annahmen verließ. Ein Teil von ihm – der Teil aus dem Vorher – wollte ihr den Kopf zurechtrücken. Aber gegen eingefleischte Vorurteile anzukämpfen stellte seine Geduld auf eine harte Probe und würde hier nur dafür sorgen, dass man ihm die Haut bei lebendigem Leib abzog. Verängstigte, zornige Dorfbewohner hörten nicht gern, dass Doktor Frankensteins Monster genau wie sie war.
Der Junge mit den harten Augen öffnete die Luke, warf etwas herunter und verschwand dann wieder. Obwohl man ihm die Hände vor dem Körper gefesselt hatte, tastete Chris lange in der Dunkelheit herum, bis er einen Sack fand, in dem ein Wasserschlauch und etwas Fladenbrot steckten. Sie wollten ihn offensichtlich nicht verwöhnen, bis sie wussten, wie es um ihn bestellt war. Welch eine primitive Zeitverschwendung! Aber das sollte ihn nicht stören. Er schlang sein Essen hinunter, legte sich dann auf die Seite und schlief ein.
»Schläfst du?« Das purpurne Licht der abendlichen Wüstendämmerung flutete in den Keller, und das hieß, dass er ihre absurde Prüfung bestanden hatte.
Es war eigentlich gar nicht so übel gewesen. Der kühle Keller war bei Weitem nicht der schlimmste Ort, an dem er geschlafen hatte, seit er Masons und Jennas Haus verlassen hatte. Wenigstens war er hier im Dunkeln in Sicherheit und vor der Sonnenhitze geschützt gewesen. Dass er nun etwas im Magen hatte, half auch.
Immer noch etwas verschlafen, wälzte Chris sich herum und schaute Rosa an. Es überraschte ihn nicht, dass sie selbst nach ihm sah, auch selbst auf die Gefahr hin, möglicherweise einem wilden, stinksauren Gestaltwandler gegenüberzustehen. Kein Problem – la jefa kletterte als Erste die Strickleiter herunter.
Zwei Paar Männerhände packten ihn an den Oberarmen. Rio und Brick nahmen ihm die Fesseln ab und zwangen ihn, sich hinzuknien, aber er leistete keinen Widerstand. Ihr Vertrauen würde schwer zu gewinnen sein.
Rosa stand vor ihm. Später würde er über ihren Duft nachsinnen – sie roch wie Karamell und schierer Sex.
Stattdessen sah Chris jetzt mit zusammengekniffenen Augen zu der Pistole auf, die sie ihm an die Stirn gesetzt hatte. »Ist die Zeit abgelaufen?«
Ein Blick in Rosas Gesicht hätte ihn ernüchtern sollen, aber es gefiel ihm, wie schnell sie atmete, wenn sie zornig war. »Hoch mit
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