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Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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werden, wenn er sich verwandelte und zum reißenden, hungrigen Monster wurde. Sie hatten aus ihren Fehlern gelernt, als es Kollateralschäden gegeben hatte.
    »Verratet ihr mir, womit ich rechnen muss?«, fragte Chris, während sie Rio um die taberna herum folgten.
    Dahinter lag ein kleines Gebäude, das gewöhnlich als Lagerhaus diente. In dem alten Erdkeller darunter führten sie die Tests durch.
    »Nein«, sagte Rosa, »sonst überlegst du es dir vielleicht noch anders.«
    Drinnen war es dunkel und kühl. Es gab keine Fenster, durch die Licht hätte hereinfallen können. An den Wänden war Material aufgestapelt, sonderbare Dinge, die sie bei Überfällen gestohlen hatten. Manches davon war zu technisch, als dass sie damit etwas anfangen konnten. Vielleicht konnte Chris dabei helfen herauszufinden, wozu es diente. Aber wenn er Arzt war, dann war er wahrscheinlich nicht gut darin, Geräte zusammenzubauen. Die alte Welt hatte sich in törichtem Maße spezialisiert. Heutzutage nützte es einem eher etwas, ein Hansdampf in allen Gassen zu sein.
    Chris starrte den Boden an, während Rio die Holzluke aufsperrte, unter der die Grube lag. Ungelöschter Kalk und Holzbalken gaben dem gestampften Lehm Halt. Der Erdkeller roch nach sauberem Ton. Rosa kletterte als Erste die Strickleiter hinunter. Ganz wie das Kind, das er war, musste Rio angeben und sprang hinab. Er fand eine Kerze und zündete sie an. Der Schatten, den sie warf, ähnelte einem zuschnappenden Drachen. Die anderen drei Bravos zwangen Chris hinunterzusteigen. Als er unten ankam, wirkte er nicht so verängstigt wie viele andere Männer. Nicht im Geringsten.
    »Werdet ihr mich foltern?« Er klang erstaunlich gefasst bei der ganzen Sache, gefasster als jeder andere, dem sie bisher begegnet war. Sein Tonfall verriet beinahe wissenschaftliche Neugier und vielleicht einen Hauch von Erheiterung.
    »Wir sind keine Ungeheuer.«
    »Und was ist damit?«, fragte er und wies auf seine Waffe.
    Rosa trat auf ihn zu. Sie sahen einander viel zu lange in die Augen. »Gib sie mir.«
    Die männlichen Lippen, die sie vorhin so bewundert hatte, verzogen sich zu einem katzenhaften Lächeln.
    »Wenn ich wirklich nur für einen Test hier bin, könnt ihr mir meine Sachen lassen. Bei allem Respekt: Ich will nicht, dass sie gestohlen werden. Sie verschaffen mir keinen Vorteil, wenn ich wirklich ein Gestaltwandler bin, und ich hätte sie schon benutzt, wenn ich Ärger machen wollte.«
    »Du scheinst dich für den Boss von Valle zu halten. Sehr lustig.« Sie schnippte mit den Fingern.
    Rio und Manuel packten ihn an den Armen, aber wieder leistete er keinen Widerstand, als sie ihn fesselten. Das machte es unbefriedigender als erwartet, seinen Tornister und seine Beretta zu beschlagnahmen.
    »Ich bin noch nie einem Gestaltwandler begegnet, der es vermeiden kann, sich zu verwandeln, wenn er gefesselt im Dunkeln sitzt«, sagte Rosa. »Irgendetwas an dem Stress löst die Verwandlung aus.«
    »Wie lange?«
    »Acht Stunden reichen aus. Nicht genug, um dir Schaden zuzufügen. Wenn du pinkeln musst, hilft Rio dir, bevor er geht.«
    Der Junge warf ihr einen Blick zu, der besagen wollte, dass er lieber gestorben wäre, aber sie wusste im Voraus, was Chris sagen würde.
    »Geht schon. Das Wasser war knapp.«
    Sie nickte. »Für einen Menschen ist das hier bloß unbequem. Für einen Gestaltwandler ist es die schiere Hölle. Wir müssen die Wahrheit herausfinden, und das ist der einfachste Weg. Wir sehen uns später.«
    Er zuckte wieder die Achseln mit einer Sorglosigkeit, die ihr unter die Haut ging. »Also dann, Licht aus.«
    »Ja, Licht aus.« Rosa stieg die Strickleiter hinauf und warf keinen Blick zurück. Eines wusste sie jetzt schon, ganz gleich, ob Chris Welsh sich als Mensch oder als Gestaltwandler erweisen würde: Er war gefährlich.

4
    Im Erdkeller war es vollkommen dunkel. Chris lag auf einer durchgelegenen Matratze und war unerträglich erschöpft, aber der Hunger ließ ihn keinen Schlaf finden. Er hatte es aufgegeben, nach Schatten und Schemen Ausschau zu halten, aber es drangen immer wieder Geräuschfetzen zu ihm und leisteten ihm Gesellschaft: Ungeduldige Rufe, Ketten, die über Beton geschleift wurden, Gelächter, ferne Musik.
    Der Gedanke, dass die Leute Rosa Cortez für dieses Wunder an Menschlichkeit zu danken hatten, ließ Chris ein wenig übel werden. Was genau hatte er zustande gebracht? Wenn man alles gegeneinander aufrechnete, hatte er mehr Schaden angerichtet, als Gutes zu tun

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