Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
riskant: Unterlag er, wäre er für immer gebrandmarkt. Siegte er hingegen, was schwierig, aber nicht ausgeschlossen war, würden sie es ihm früher oder später heimzahlen, womöglich, indem sie ihn grün und blau schlugen. Aber sich nicht zu wehren, wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Verzicht auf jede Form von Achtung. Er musste einen anderen Weg finden.
»He, Junge, lass sein«, sagte der Soldat mit den Zöpfchen, indem er sein Brot teilte, »ich geb dir ein Stück von meinem. Machen wir halbe-halbe. Wenn wir langsam kauen, hält das vor, wie wenn wir die ganze Ration gehabt hätten …«
Rankstrail hörte nicht auf ihn. Er nahm das angebotene Stück Brot nicht. Er ging und legte sich unter die am weitesten entfernte Eiche und wartete ab, bis alle schliefen. Als die Atemzüge regelmäßig geworden waren und nichts mehr die Stille der lauen Nacht störte, stand er auf und bewegte sich mühelos in dem unbekannten Gelände, indem er sich an Gerüchen und Geräuschen orientierte, die für andere nicht wahrnehmbar waren, für ihn aber so deutlich wie eine Karte. Südlich vom Lager war ein Kaninchenbau. Er fand ihn sofort, weil er die Spuren am Flussufer gesehen hatte, während er trank. Der Fasan hingegen, den er kurz vor Morgengrauen erlegte, war ein reiner Glücksfall. Als der Rest der Mannschaft aufwachte, hatte Rankstrail aus etwas Stroh und Glut vom Lagerfeuer ein Feuerchen gemacht und briet sich gerade den Fasan. Auf einem großen Stein lagen drei Kaninchen. Rankstrail deutete darauf.
»Das Fleisch könnt ihr essen, die Felle gehören mir«, sagte er ruhig. »Bleibt weg von meinem Feuer.«
Der Soldat mit den Zöpfchen hieß Lisentrail. Ohne aufzustehen, warf der Junge ihm ein Stück Fasan zu, der andere fing es im Flug.
Keiner von den anderen wagte, näher zu kommen.
Er hatte sie in die lasche gesteckt.
Er war ein Junge und völlig unerfahren obendrein, aber er war imstande, sie satt zu kriegen, und das war ein so kostbares Gut, dass es alles andere überwog, auch den unverkennbaren Wunsch des Truppführers und vieler der älteren Soldaten, ihm sämtliche Zähne auszuschlagen und ihn auf seinen Platz zu verweisen.
Alle außer dem Truppführer aßen das Fleisch, und sie wussten, wenn sie ihn in Ruhe ließen, würde es in der kommenden Nacht mehr davon geben, und in der darauffolgenden auch.
Ihr Trupp durchquerte die ganze Grafschaft von Norden nach Süden.
Sie kamen durch einen Landstrich voller Pinienwälder und Sümpfe, darüber erhoben sich Hügel, gelb von Heu, wo weiße Kühe grasten wie die rund um Varil, bewacht von Viehhütern auf schwarzen Pferden. Die Pinien waren hoch und sehr eigenartig, am Stamm hatten sie keine Äste und ihre Wipfel öffneten sich zu riesigen Schirmen. Lisentrail brachte allen bei, Pinienzapfen zu sammeln, denn sie waren gut zum Feuermachen am Abend und in einer steinharten Schale enthielten sie eine winzige, kostbare Frucht namens Pinienkern.
Tagsüber marschierten sie. Nachts ging Rankstrail auf Jagd. Manchmal kam er mit leeren Händen wieder. Einmal erlegte er eine seltsame Mischung aus Schwein und Wolf, und die anderen sagten, das sei ein Wildschwein. Er erlegte es nach einer anstrengenden Hetzjagd durch Unterholz und Gestrüpp, wobei er sich völlig zerkratzte und mehr Kilometer zurücklegte, als er tagsüber mit den anderen marschiert war. Rankstrail schlief wenig, aber etwas Schlaf brauchte er doch. Jetzt begannen Müdigkeit und Schlafmangel, qualvoll für ihn zu werden, aber er biss die Zähne zusammen und gewöhnte sich auch daran.
Bei der ersten Ansiedlung auf ihrem Weg tauschte er seine Kaninchenfelle gegen eine Feldflasche ein, genauer gesagt er schickte Lisentrail, den Tausch vorzunehmen, denn er mit seinem Harnisch aus Metallplatten und Tierfellen glich doch eher einem Ork als einem ordentlichen Soldaten.
Ein paar Tage später tauschte er, noch einmal mit Lisentrails Hilfe, ein Stück des Wildschweins gegen zwei kostbare Feuersteine, sodass er nicht mehr von der Glut des Lagerfeuers abhängig war. Er erstand auch ein kleines, mit Salz gefülltes Horndöschen, ein unschätzbares Gut für jeden Soldaten, Bettler oder Landstreicher, um sicherzustellen, dass man sich ernährte wie ein Mensch und nicht wie ein Hund.
Abends zeigte Lisentrail ihm, wie man mit dem Schwert umgeht. Er brachte ihm die fundamentalen Paraden bei und auch ein paar Ausfälle. Er als Einziger hatte die Idee gehabt, dem jungen Soldaten Unterricht zu geben, aber nachdem er damit
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